
Menschen mit Sehbehinderungen können am Computer mit der Braille-Zeile Texte ertasten.
Der Kanton Zürich will die Behindertenrechte aus der UNO-BRK mit einem umfassenden Aktionsplan umsetzen. Dazu gehört auch, Menschen mit Behinderungen ins Handeln der Verwaltung mitzudenken und sie als mögliche Arbeitnehmende, Nutzende von Dienstleistungen oder Kooperationspartner:innen miteinzubeziehen. Gemeinsam mit der Behindertenkonferenz Kanton Zürich BKZ lanciert das kantonale Sozialamt ein neues Projekt. In Partizipationsseminaren können Verwaltungsangestellte lernen, was beim Einbezug von Menschen mit Behinderungen wichtig ist und wie er in der Praxis gelingen kann.
Situationen, in denen Menschen mit Behinderungen mit Behörden in Berührung kommen, sind zahlreich: Da gibt es beispielsweise die Dozentin mit einer Sehbehinderung: Sie benötigt Unterstützung zur Bedienung der Technik im Hörsaal, die üblichen Touchscreens kann sie nicht lesen. Ein Rechtsexperte mit einer Hörbehinderung will an einer Veranstaltung des Kantons teilnehmen: Erhält er Zugang zu den mündlich vorgetragenen Informationen? Eine junge Frau mit einer Lernbehinderung sucht auf der Website des Kantons nach einem Formular: Wie findet sie das Gesuchte, ohne sich auf der Website zu verlieren?
« Verwaltungen haben oft wenig Praxiswissen, wenn es um den konkreten Alltag von Menschen mit Behinderungen geht. »
Diesen Aspekten wurde in der Vergangenheit wenig Rechnung getragen. Nicht zuletzt, weil Menschen mit Behinderungen in der Politik, als Mitarbeitende und bei Entscheidungsprozessen des Kantons unterrepräsentiert sind. Mit der Folge, dass Betroffene viele Dienste der Verwaltungen gar nicht oder nur mit Unterstützung und viel Zusatzaufwand nutzen können.
Fehlendes Wissen in der Verwaltung
Bei den nun lancierten Seminaren ist Matyas Sagi-Kiss Dozent. Der Jurist und SP-Politiker, erklärt den Zweck von Partizipation: «Verwaltungen haben oft wenig Praxiswissen, wenn es um den konkreten Alltag von Menschen mit Behinderungen geht. Wenn sie dann ohne deren Einbezug einen Spielplatz, eine Website oder Prozesse planen, ist die Gefahr gross, dass das Resultat am Ende gar nicht, oder nur für einen Teil der Betroffenen zugänglich ist. Dann kommt bei allen Beteiligten viel Frustration auf.» Ein früher, systematischer Einbezug von Betroffenen führe hingegen zu qualitativ besseren Lösungen. Ausserdem würden die Ressourcen des Kantons geschont, wenn es keine nachträglichen Korrekturen brauche.
Seine Kollegin Saphir Ben Dakon, Inklusions- und Kommunikationsexpertin, ergänzt: «Obwohl der Kanton und die Gemeinden schon länger Massnahmen zum Einbezug von Menschen mit Behinderungen kennen, hören wir immer wieder von Unsicherheiten und Irritationen auf beiden Seiten.» Verwaltungsangestellte wüssten oft nicht, wie ein Einbezug konkret funktioniere und fühlten sich mitunter hilflos. Menschen mit Behinderungen hingegen seien zurecht irritiert darüber, dass sie gewisse Dinge immer wieder neu erklären müssten.
« Mit den Seminaren wollen wir die Mitarbeitenden des Kantons bei der konkreten Ausgestaltung der Partizipation unterstützen. »
Ben Dakon führt aus: «Mit den Seminaren wollen wir die Mitarbeitenden des Kantons bei der konkreten Ausgestaltung der Partizipation unterstützen. Sie zum Beispiel über verschiedene Formen und Möglichkeiten der Teilhabe aufklären.» Als Grundlage für die Seminare nutzen die beiden einen Leitfaden. Diesen haben sie gemeinsam mit zwei weiteren Fachexpert:innen konzipiert und mit weiteren Personen gespiegelt. In den Praxisseminaren soll der Leitfaden nun auf seine Benutzerfreundlichkeit geprüft und gemäss den Bedürfnissen der Verwaltungsangestellten angepasst werden. Er soll nicht nur als Lehrmittel, sondern auch als Nachschlagewerk dienen, wenn Verwaltungsangestellte einen Einbezug von Menschen mit Behinderungen planen.
Erfolgreiches Beispiel: Website des Kantons Zürich
Die Stelle in der Verwaltung, welche die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen bereits seit einigen Jahren erfolgreich durchführt, ist die Abteilung für Digitale Verwaltungskommunikation unter Roger Zedi. Er ist der zentrale Ansprechpartner für die Website des Kantons und auch verantwortlich für deren Barrierefreiheit. Es sind vor allem Menschen mit Seh-, Hör- und Lernbehinderungen, denen der Zugang zu Informationen auf Webseiten erschwert ist. Auch sind deren Anforderungen an eine Website unterschiedlich: Menschen mit Hörbehinderung hilft es, genügend Bilder zu haben. Hingegen können Menschen mit einer Sehbehinderung mit visuellen Informationen nicht viel anfangen. Sie benötigen ausserdem barrierefreie Dokumente, die der Screenreader, ein Programm, das Texte laut vorliest oder in Braille-Schrift übersetzt, lesen kann. Menschen mit einer Lernbehinderung wiederum profitieren davon, wenn die zentralen Botschaften leicht auffindbar und verständlich sind und nicht zu viele Inhalte angezeigt werden.
« Menschen mit Behinderungen können wertvolles Praxis-Wissen mit uns teilen und uns damit die Arbeit massiv erleichtern. »
Als es vor einigen Jahren darum ging, die ganze Webauftritt des Kantons neu zu gestalten, wusste Zedi nicht, wie er vorgehen konnte: «Wir hatten zwar eine technische Mängelliste, die aufgezeigt hat, welche Aspekte der Website noch nicht barrierefrei waren, aber es fiel uns schwer herauszufinden, wie wir die einzelnen Mängel gewichten müssen, also welche relevant und welche weniger relevant sind. Wir merkten: Ohne Menschen mit Behinderungen können wir unseren Job nicht richtig machen.»
Daraufhin lud Roger Zedi ein bis zwei Personen pro Behinderungsart zu einem runden Tisch ein. Später ging seine Abteilung dazu über, Sitzungen nach Behinderungsart getrennt durchzuführen. Der Erfolg sei rasch spürbar gewesen: «Menschen mit Behinderungen können wertvolles Praxis-Wissen mit uns teilen und uns damit die Arbeit massiv erleichtern.» Die Zusammenarbeit bestehe deshalb bis heute.
« Menschen mit Behinderungen arbeiten nicht gratis für uns. »
Die Barrierefreiheit einer Website ist aber keine einmalige Sache, sondern ein langfristiges Projekt, das in immer neuen Teilschritten umgesetzt wird. So sollen 2025 beispielsweise mehr Videos in Gebärdensprache auf der Website integriert werden.
Etwas ist Roger Zedi dabei besonders wichtig zu erwähnen: «Menschen mit Behinderungen arbeiten nicht gratis für uns. Für die Zusammenarbeit gibt es einen Vertrag. Die Tätigkeit ist ein Zusatzaufwand, den man nicht einfach in seiner Freizeit leisten soll.»
Die Umsetzung der UNO-BRK im Kanton Zürich
Der Kanton Zürich hat einen Aktionsplan zur Umsetzung der UNO-BRK. Dieser beinhaltet zahlreiche Aktivitäten und Massnahmen. Unter anderem gehören dazu die Aktionstage Behindertenrechte, der Inklusions-Check für Gemeinden und eine jährlich stattfindende Partizipationskonferenz.
Die nun lancierten Partizipationsseminare richten sich insbesondere an Verwaltungsmitarbeitende aus Kanton, Städten und Gemeinden im Kanton Zürich, die für die Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention verantwortlich sind. Sie können sich auf der Website des Kantons dafür anmelden.
Dieser Artikel erschien erstmals am 28. Januar 2025 auf Tsüri.ch unter diesem Link.