Ein Symbol der Vielfalt oder ein Hindernis? Der Genderstern im Fokus der Zürcher Abstimmung. Bildnachweis: Silvia Meierhofer
Die Initiant:innen der «Tschüss-Genderstern-Initiative» haben zum Ziel, dass die Sprache der Behörden leicht und einfach verständlich sein soll. Sie fordern, dass bei der Kommunikation innerhalb der Stadtverwaltung auf Sonderzeichen innerhalb von Wörtern verzichtet wird. Darüber stimmen die Stadtzürcher:innen am 24. November ab.
Unter anderem argumentieren die Befürworter:innen der Initiative, dass der Genderstern nicht barrierefrei sei, insbesondere für Menschen mit Seh-Behinderungen.
Hartmuth Attenhofer hat den Initiativtext gemeinsam mit der 2023 in den Zürcher Kantonsrat gewählten Susanne Brunner (SVP) unter Zuhilfenahme weiterer Fachleute erstellt. Der 76jährige ist ehemaliger Kantonsrat der SP und Mitglied des Komitees der «Tschüss-Genderstern-Initiative».
Auf die Frage, ob es im Komitee Personen mit Lern- und Sehbehinderungen gebe, antwortet Attenhofer: «Nein. Wir haben für unser Komitee nicht Ausschau gehalten nach Menschen mit irgendwelchen Behinderungen, Schwächen usw.» Das Komitee meint mit Menschen mit Behinderungen gemäss Attenhofer «vorab kognitiv eingeschränkte* Personen und solche mit Sehbehinderungen oder Blindheit.»
« Nein. Wir haben für unser Komitee nicht Ausschau gehalten nach Menschen mit irgendwelchen Behinderungen, Schwächen usw. »
Beziehen Sie sich auf eine Studie, um ihre Argumentation zu stützen?
Attenhofer: «Wir haben keine Studien, sondern berufen uns auf die Gesellschaft für deutsche Sprache (gfds.de), den Rat für deutsche Rechtschreibung [...] und andere Koryphäen. » Auch habe Franz Hohler in der SonntagsZeitung gesagt, er liebe die deutsche Sprache aber den Genderstern finde er zum Kotzen.
Anders sieht das das Gegenkomitee «Keine Ausgrenzung in Zürich» welches die Tschüss-Genderstern-Initiative ablehnt: Es bezieht sich auf eine Studie der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik und deren «Empfehlung zu gendergerechter, digital barrierefreier Sprache». Diese empfiehlt den Genderstern als das Zeichen, welches von Menschen mit Behinderungen bevorzugt werde.
Dies bestätigt auch Attenhofer, der jedoch noch hinzufügt: «Das sagt aber nichts darüber aus, ob gegenderte Texte beliebt sind, sondern es sagt nur, dass, wenn schon, es der Asterisk sein soll.»
Worauf stützt denn nun das Initiativkomitee sein Argument, dass Menschen mit Behinderungen Probleme hätten beim Lesen von Texten mit dem Genderstern?
Attenhofer: «Ein Prozent der Bevölkerung hat medizinisch induzierte oder altersgemäss erworbene Sehschwäche oder gar Blindheit. Muss der Text mit der Lupe gelesen werden, wird eben auch der Genderstern grotesk vergrössert. Das erschwert das Lesen und es verleidet den Leuten. Lesegeräte erkennen die Fremdzeichen nicht, beziehungsweise, sie müssen kostenpflichtig nachprogrammiert werden.»
Nora Martin, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Pro Infirmis – der Dachorganisation für lokale und regionale Behindertenorganisationen in der Schweiz – schreibt auf Anfrage:
« Als Organisation, die sich für Inklusion einsetzt, ist es für uns keine Frage, dass wir auch eine inklusive Sprache verwenden müssen. Gendergerechtes Schreiben hat aber viele Variationen, gerade auch was die Kurzformen angeht. »
Jeder Screenreader für Menschen mit Sehbehinderungen lasse sich so konfigurieren, dass festgelegt werden kann, welches Zeichen gesprochen werden soll. Bezüglich der Lesbarkeit scheine aktuell der Genderstern das bevorzugte Mittel zu sein, auch wenn es unterschiedliche Meinungen diesbezüglich gebe.
Nora Martin führt weiter aus, dass sich Pro Infirmis für die Verwendung des Gendersterns entschieden hat: «Wir hatten in Vorbereitung des Entscheids zum Thema gendergerechtes Schreiben recherchiert. Wir hatten unter anderem Access for all (das Schweizer Kompetenzzentrum für digitale Barrierefreiheit) dazu befragt. Ausschlaggebend für den Entscheid war schliesslich, dass laut des Deutschen Rechtschreibrates, der Stern die am häufigsten verwendete Kurzform ist und dass sich möglichst eines der Sonderzeichen irgendwann etablieren sollte.»
Alles in allem geht Attenhofer in seinen Antworten nicht näher auf Menschen mit Lernbehinderungen ein und schreibt, dass hunderttausende von Illetrist:innen durch den Genderstern behindert würden.
«Für diese Menschen wird die Einfache Sprache propagiert und gelehrt. Diese Menschen haben ein, ihr berufliches und gesellschaftliches Fortkommen beeinträchtigendes, Problem. Nun sollen also diese Leute auch noch mit genderistisch verfremdeten Texten gequält werden.»
« Der Genderstern ist nicht das Problem für uns. Viel wichtiger ist die Einführung von Leichter Sprache und der Zugang zu Bildung für alle Menschen. »
Allerdings handelt es sich bei Illetrist*innen gerade nicht um Menschen die aufgrund einer Behinderung Schwierigkeiten mit Lesen und Schreiben haben, wie der Dachverband Lesen und Schreiben Schweiz auf seiner Homepage schreibt. «Es gilt ausdrücklich festzuhalten, dass Illettrismus kein Krankheitsbild beschreibt.»
Für Nora Martin von Pro Infirmis sagt: «Als Organisation, die sich für Inklusion einsetzt, ist es für uns keine Frage, dass wir auch eine inklusive Sprache verwenden müssen. Gendergerechtes Schreiben hat aber viele Variationen, gerade auch was die Kurzformen angeht.»
Für Martin ist der Genderstern nur eine Variante von vielen. Es gebe unterschiedliche Meinungen, was nun am meisten barrierefrei sei.
So vermeide das Büro für Leichte Sprache beispielsweise den Genderstern, und verwende stattdessen, wenn immer möglich, neutrale Formulierungen oder Doppelnennungen, wie zum Beispiel Rednerinnen und Redner.
Auch Damian Bright, der sich als Selbstvertreter für die Gleichberechtigung von Menschen mit Down Syndrom einsetzt, sagt auf Anfrage: «Der Genderstern ist nicht das Problem für uns. Viel wichtiger ist die Einführung von Leichter Sprache und der Zugang zu Bildung für alle Menschen.»
Urs Haas, Vorstandsmitglied der Behindertenkonferenz Kanton Zürich, sieht es so: «Man muss den Leuten halt einfach erklären, was der Genderstern ist und was er bedeutet.»
*«Kognitiv eingeschränkt» (ebenso wie «geistig» oder «seelisch behindert») wird von Selbstvertreter:innen abgelehnt, weil der Begriff ableistisch, also abwertend, ist. Wir Reporter:innen ohne Barrieren verwenden diese Formulierung nicht und sprechen stattdessen von Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Lernbehinderungen.
Beispiel Erklärung Gender-Stern in leichter Sprache
Ein Leitfaden, wie gendergerechte Sprache in Leichter Sprache angewendet werden kann, findet sich im Blogartikel: Gendern in Leichter Sprache – Anleitung. Der Beitrag von Andrea Halbritter zeigt konkrete Ansätze, um Texte einfacher und inklusiver zu gestalten.