Die Institutionen und NGO’s in der Schweiz, welche stetig an der Umsetzung der UNO- Behindertensrechtskonvention (UN-BRK) arbeiten, haben noch Einiges zu tun. Neu können sie dafür die Hilfe zweier Nachschlagewerke in Anspruch nehmen. Mehrere Co-Autor:innen unter der Leitung von Tarek Naguib, Jurist an der Zürcher Fachhochschule ZHAW, haben zwei wichtige Werke herausgegeben. Eines davon ist soeben im Buchhandel erschienen: Ein juristischer Kommentar zur Umsetzung der UN-BRK in der Schweiz. Jurist:innen, Verwaltungen und NGO’s haben damit nun ein wichtiges Nachschlagewerk, wenn es darum geht, konkrete Schritte der Inklusion in der Schweiz umzusetzen. Das dünner gehaltene Handbuch zur UNO-BRK erscheint im Mai und soll Menschen mit noch wenig Berührungspunkten einen Einblick in die Thematik geben.

Die UN-BRK stellt eine wichtige Ergänzung des innerstaatlichen Behindertengleichstellungsrechts dar und betrifft diverse Bereiche wie zum Beispiel Bildung, Erwerb, Gesundheit und soziale Sicherheit. Um das teilweise abstrakte Thema greifbar zu machen, hat Herausgeber Tarek Naguib zur Buchvernissage Menschen mit Bezugspunkten zu wichtigen Handlungsfeldern bei der Umsetzung der UN-BRK eingeladen. Es ist ihm damit gelungen, die vielfältigen Aspekte der UN-BRK und die noch offenen Forderungen von Betroffenen sichtbar zu machen.

Schweizweite Anerkennung der Gebärdensprache gefordert

Mehrere Gäste waren im Verlauf des Abends zum Podium eingeladen. Dies waren Mirjam Münger, Sozialarbeiterin FH mit Hör- und Sehbehinderung, und Harry Witzthum, Geschäftsführer des Schweizerischen Gehörlosenbundes in Zürich. Beide engagieren sich dafür, dass die Gebärdensprache als Landessprache schweizweit anerkannt wird. Dazu Harry Witzthum: «Fakt ist, dass in der Schweiz einer sprachlichen und kulturellen Minderheit die Anerkennung der eigenen Sprache verweigert wird. Es gibt jede Menge staatliche Informationen, welche gehörlose Menschen nicht oder nur sehr erschwert erhalten.»

Mirjam Münger erzählte ein paar Beispiele aus ihrem Alltag: «Wenn ich zum Arzt oder ins Spital muss, dann wird es sehr schwierig. Ich bin auf Dolmetschende angewiesen, um medizinische Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Diese Hilfe ist aber bei allen gehörlosen Menschen limitiert, es gibt auch nach wie vor einzelne Betroffene, die ohne Dolmetscher:innen auskommen müssen. Es gibt auch weitere Bereiche, in denen es Verbesserungspotenzial gibt. Zum Beispiel im Bereich der Berufswahl. Journalist:in ist ein Beruf, der nicht geht, weil dazu das Kontingent der Dolmetscher:innenstunden nicht reicht. Ich wünsche mir, dass dieses Limit aufgehoben wird.»

Peer-Beratung soll mehr Bedeutung gewinnen

Nächster Gast auf der Couch war Nicole Haas, die als Peer-Beraterin tätig ist. Sie ist selbst von ME/CFS und Depressionen betroffen und berät beruflich Menschen in ähnlichen Lebenssituationen. Die Peer-Beratung ist vielseitig. Sie begleitet ihre Klienten:innen in Form von Einzelberatung, unterstützt bei Konflikten und hat auch eine Gruppe, welche sie leitet. Haas hat aber nicht nur direkt mit den Klient:innen Kontakt, sie berät auch das Team der Mitarbeitenden und gibt kritisches Feedback in Situationen, wo sie den Eindruck hat, dass die Sicht der Betroffenen zu wenig zum Zuge kommt. Sie wünscht sich, dass Peer-Arbeit in Zukunft vermehrt auch ausserhalb von Institutionen stattfinden und finanziert werden kann.

Inklusionsinitiative kommt im Frühling

Nach einem Vortrag von Magda Mustafa, Professorin für Architektur aus Kairo, über autismusgerechte Architektur, gab es weitere Podiumsgäste. Kantonsrat und Behinderten-Aktivist Islam Alijaj sprach gemeinsam mit Andreas Rieder vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (EBGB) über aktuelle politische Reformen im Bereich des Behindertenrechtes.

Aus Sicht von Andreas Rieder sind aktuell bereits viele Reformen in Gang und hat sich insgesamt seit der Ratifizierung der UN-BRK viel getan. Etwas anders sieht dies Islam Alijaj. Dieser will mit der im kommenden Frühling zu lancierenden Inklusionsinitiative mehr Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung erreichen. Die Initiative soll einerseits eine breite gesellschaftliche Debatte eröffnen und gleichzeitig die noch stark institutionsbasierte Wohnlandschaft für Menschen mit Behinderung in der Schweiz umgestalten. So soll zum Beispiel selbständiges Wohnen für Menschen mit einer schweren Körperbehinderung einfacher werden.

Vernetzte Sichtweise

Der Anlass machte deutlich, wie vielfältig die Anliegen von Menschen mit Behinderungen noch sind. Dabei wurde klar, dass die Schweiz keineswegs schon alle Forderungen gut erfüllt, sondern bestenfalls auf dem Weg ist, ein inklusives Land zu werden. Eines, in dem alle Menschen Zugang zu allen zentralen Aspekten des Alltags haben.