Anita Rothenbühler. Bildnachweis: Michael Waser
An wärmeren Tagen werkelt Anita Rothenbühler auf der Terasse an der frischen Luft an den etwa 40 Zentimeter grossen Steinskulpturen. Auch ist die 78-Jährige, die mit ihrem Ehemann im unteren luzernischen Wiggertal wohnt, im Inneren der vier Wände kreativ: Sie hat sich eine Rezept-Sammlung angelegt. Immer wieder probiert sie neue Gerichte, Desserts oder Gebäcke aus. Kommt die Enkeltochter zu Besuch, bastelt sie viel mit ihr.
Auf ihrem Computer oder Tablet liest Rothenbühler Berichte von Kulturreisen, Kunst, Medizin und Politik. Die beiden Geräte sind auf dunklen Hintergrund mit weisser Schriftfarbe und vergrösserter Schriftgrösse eingestellt, einer Einstellung, die das Lesen für Rothenbühler zugänglich macht. Mit den Hörgeräten hört sie gerne Musik.
Nebst den vielfältigen Tätigkeiten leitet Rothenbühler die Sitzungen und Aktivitäten der «Gemeinschaft der Fachlehrerinnen Lormen und Haptische Kommunikation – Schweiz». Zudem beschäftigt sie die Isolation, die viele Menschen mit einer Hörsehbehinderung oder Taubblindheit erleben.
« Was es bedeutet, ausgeschlossen zu sein, weiss Rothenbühler allzu gut aus eigener Erfahrung. Als sie 40 Jahre alt war, konnte sie ihren geliebten Beruf als Chemielaborantin nicht mehr ausüben. »
Was es bedeutet, ausgeschlossen zu sein, weiss Rothenbühler allzu gut aus eigener Erfahrung. Als sie 40 Jahre alt war, konnte sie ihren geliebten Beruf als Chemielaborantin nicht mehr ausüben. Fehlende Hilfsmittel und mangelnde Unterstützung führten dazu, dass sie aus der Berufswelt ausgegrenzt und bei ihr eine Krise ausgelöst wurde. Sie fühlte sich auf das Usher Syndrom Typ 2 reduziert, das mit einer Schwerhörigkeit und fortschreitender Sehverschlechterung einhergeht. In den darauffolgenden Jahren verstärkte sich in Rothenbühler der Wunsch, als Mensch mit vielen Interessen wahrgenommen zu werden. Sie tritt auch heute für die Inklusion der Menschen mit einer Hör- und Sehbehinderung ein.
« Auch Menschen mit einer Hörsehbehinderung oder Taubblindheit gehören zur Gesellschaft und können an ihr selbstbestimmt und gleichberechtigt teilhaben. »
Denn «Auch Menschen mit einer Hörsehbehinderung oder Taubblindheit gehören zur Gesellschaft und können an ihr selbstbestimmt und gleichberechtigt teilhaben», sagt Rothenbühler. Um der Isolation entgegenzuwirken, sei diese Menschengruppe auf angepasste Kommunikationsformen und -techniken, wie etwa das Lormen, das Alphabet zur Kommunikation von und mit taubblinden Menschen, angewiesen. Bei diesem werden einzelne Buchstaben oder Buchstabenkombinationen mittels Tippen oder Streichen auf der Handfläche fühlbar gemacht. Als eine der weiteren Kommunikationsformen gelten die haptischen Zeichen. Ein System von klar definierten Berührungszeichen, welche die sprechende Person auf neutralen Körpersonen wie der Hand, dem Unter- und Oberarm, der Schulter sowie der oberen Rückenpartie ausführt.
Rothenbühler nutzt das Lormen und die haptische Kommunikation als Ergänzung zum Hören mit den Hörgeräten in lärmiger Umgebung, oder wenn sie ein Wort, den Namen einer Person oder einer Ortschaft akustisch nicht verstanden hat.
« In der Regel informiere ich gleich zu Beginn, dass ich eine Hörsehbehinderung habe. Das Umfeld bemüht sich, Rücksicht darauf zu nehmen. Aber schon nach fünf Minuten kann ich nicht mehr mithalten. »
Anita Rothenbühler. Bildnachweis: Michael Waser
Rothenbühler berichtet von ihrer Erfahrung, wenn sie bei Events von Menschen ohne Behinderungen teilnimmt: «In der Regel informiere ich gleich zu Beginn, dass ich eine Hörsehbehinderung habe. Das Umfeld bemüht sich, Rücksicht darauf zu nehmen. Aber schon nach fünf Minuten kann ich nicht mehr mithalten.» Damit Rothenbühler bei einer Veranstaltung von Anfang bis Schluss dabei sein kann, organisiert sie eine Kommunikations-Assistentin, eine Person, die für die Kommunikation und Begleitung von Menschen mit Hörsehbehinderung und Taubblindheit ausgebildet ist. «Sie ist mit mir zum Veranstaltungsort gereist, hat mich bei der Führung begleitet und mich unterstützt, wenn ich etwas nicht verstanden habe», erklärt Rothenbühler und betont, wie wichtig solche Assistenzpersonen für die Inklusion seien. Es gehe nämlich nicht darum, nur zu einem Anlass begleitet zu werden, sondern vor allem auch mit angepassten Kommunikationsformen und -techniken mitzubekommen, was sich um einen ereignet und mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen.
Anita Rothenbühler. Bildnachweis: Michael Waser