Auf dem Bild zu sehen ist die über beide Ohren strahlende Laila Grillo. Sie kniet auf dem Boden mit Blick zur Kamera, im Rücken das Gipfelkreuz Gällihore 2284 Meter ü. Meer. Links neben ihr befindet sich ihr Rucksack. Sie trägt einen weissen Schutzhelm auf dem Kopf, ein Sicherheitsseil um die Hüften und Karabinerhaken an der Seite ihrer Hosen. Im Hintergrund sind Wolken und die spärrlich bewachsene Bergspitze mit spitzigen Felsen zu sehen.

Auf dem Bild zu sehen ist die über beide Ohren strahlende Laila Grillo. Sie kniet auf dem Boden mit Blick zur Kamera, im Rücken das Gipfelkreuz Gällihore 2284 Meter ü. Meer. Links neben ihr befindet sich ihr Rucksack. Sie trägt einen weissen Schutzhelm auf dem Kopf, ein Sicherheitsseil um die Hüften und Karabinerhaken an der Seite ihrer Hosen. Im Hintergrund sind Wolken und die spärrlich bewachsene Bergspitze mit spitzigen Felsen zu sehen.

Was haben ein Computerprogramm, ein Lift und ein Grossraumbüro gemeinsam? Sie alle können zu einer Hürde in der Arbeitswelt werden. Das Computerprogramm, wenn es für einen Menschen mit Sehbeeinträchtigung nicht nutzbar ist, der Lift, wenn die Tasten für eine muskelerkrankte Person zu hoch angebracht sind. Und das Grossraumbüro für den Menschen mit ADHS, welcher die zahlreichen Reize im Raum nicht genügend filtern und so nicht konzentriert arbeiten kann. 

Die drei Beispiele zeigen, wie unterschiedlich Hürden im Alltag von Menschen mit einer gesundheitlichen Einschränkung oder einer Behinderung daherkommen. Und lassen erahnen, wie wenig es braucht, damit am Ende ein Job aus rein praktischen Gründen nicht möglich ist: Weil der Lift nicht kompatibel ist, das Computerprogramm nicht passt oder die Architektur des Gebäudes ausschliesslich für grossraumtüchtige Menschen gedacht ist.

Ältere und schwer Behinderte benachteiligt

Solche Hürden dürften mit ein Grund sein für eine erschwerte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im ersten Arbeitsmarkt. Das Bundesamt für Statistik erhebt Zahlen zur Gleichstellung und diese sprechen eine klare Sprache: Während jüngere Menschen mit Behinderung eine gute Beteiligung am Arbeitsmarkt haben (80% vs. 85% bei Menschen ohne Behinderung), haben Personen ab 40 und schwer Behinderte mehr Mühe darin anzukommen oder zu verbleiben (siehe Box).

Und dann gibt es noch eine Lücke in der Statistik: Menschen, die in Institutionen leben -in der Statistik werden diese Haushalte Kollektivhaushalte genannt- erscheinen gar nicht in den Erhebungen zur Gleichstellung. Denn sie sind von diversen Erhebungsverfahren des Bundes ausgeschlossen, welche sich in der Regel an Privathaushalte richten. Auch die Anzahl geschützter Arbeitsplätze wird nicht auf nationaler Ebene erhoben. Erhebungen über Institutionen für Menschen mit Behinderungen obliegen den Kantonen. Eine schweizweit einheitliche Erhebung und Publikation sind nicht vorgesehen. 

« Der wichtigste Schlüssel ist Offenheit von beiden Seiten. »

Laila Grillo, Agrarwissenschaftlerin, Kletterin

Dass jede Situation individuell ist und jede Person mit Behinderung unterschiedliche Fähigkeiten, Einschränkungen und Hürden erlebt, zeigt die Geschichte von Laila Grillo. Die Agrarwissenschaftlerin und leidenschaftliche Kletterin sprach am Festival «InkluVision» in einem Referat über ihre persönlichen Erfahrungen im Arbeitsmarkt als Frau mit einer Behinderung. Sie erlebte als Kind eine Netzhautablösung und ist seither vollständig blind. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit ist die 33-Jährige auch Mitglied des Swiss Paraclimbing Teams, einem Eliteteam von behinderten Kletter:innen. 

Offenheit als Schlüssel

Sowohl im Klettersport als auch in der Berufswelt hat die St. Gallerin schon öfter die Erfahrung gemacht, dass sehende Menschen ihr etwas nicht zutrauen. Und sie hat gelernt, dass ein «Nein, tut uns leid, das geht nicht» nicht zwingend das Ende ihrer beruflichen und sportlichen Träume bedeutet.

Eine der häufigsten Hürden im Berufsalltag sind für sie Computerprogramme, deren Anzeigen sie nicht lesen kann. Die wenigsten Computerprogramme werden so programmiert, dass sie für Sehbehinderte via Sprachausgabe oder Brailleschrift zugänglich sind. Was auf den ersten Blick nach einem unüberwindbaren Problem tönt, kann in der Praxis gut gelöst werden: Zwei Firmen in der Schweiz sind darauf spezialisiert bereits vorhandene Programme mit Sprachausgabe und Brailleübersetzung zugänglich zu machen. Die Arbeitgebenden werden mit dem Umbau kaum belastet. Die Kosten werden von der Invalidenversicherung getragen.

« Die Digitalisierung hilft den Graben zu schliessen. »

Jahn Graf, Moderator und Podcaster

Eine weitere Möglichkeit ist die Anstellung einer Assistenz, welche einfache Unterstützungstätigkeiten für Menschen mit Behinderungen übernehmen kann. Im Fall von Grillo wird diese ebenfalls von der IV bezahlt.

Das Allerwichtigste ist aber aus Sicht von Grillo nicht, dass Arbeitgebende bereits praktische Lösungen für alle auftretenden Probleme im Hinterkopf hätten. Sie findet: «Der wichtigste Schlüssel ist Offenheit von beiden Seiten.» Sobald ihre Bewerbung mit dem Zusatz «blind» nicht einfach auf der Absagebeige lande, sondern ein potenzieller Arbeitgeber offen für ein Gespräch sei, habe sie Chancen. Im Gespräch könnten Arbeitgebende die Kompetenz der Bewerber:innen prüfen, Fragen stellen und Bedenken lösungsorientiert besprechen. 

So hat Grillo auch ihre aktuelle Stelle in einem Landwirtschaftsbetrieb gefunden. Sie sagt sie sei dankbar darin ihr Potential nach einer längeren Stellensuche entfalten zu können. Besonders gefalle ihr, dass sie vielfältige Aufgaben habe und der Job nicht nur im Büro stattfinde. Zum Beispiel führe sie seit kurzem Hofführungen durch.

Kulturwandel in der Berufswelt 

Einige Schlagworte fielen in der Inklusionskonferenz immer wieder, auch am Podium mit den drei Teilnehmenden Jahn Graf, Moderator und Podcaster, Alain Bader, Experte bei Sensability und Markus Mäder aus dem Kernteam von ADHS 20+, einer Organisation für Erwachsene mit ADHS.

Für Jahn Graf ist die Möglichkeit aus dem Home-Office zu arbeiten zentral, die Räumlichkeiten seines Arbeitgebers seien nur bedingt barrierefrei. «Die Digitalisierung hilft den Graben zu schliessen.» Dem stimmte Alain Bader zu: «Home-Office hilft mir, dann zu arbeiten, wenn ich mich am fittesten fühle.» Er hoffe, dass sich die neuen Arbeitsmodelle durchsetzen würden, da sie vielen Menschen mit Behinderungen entgegenkämen.

« Am Ende werden sich alle fragen, warum man Menschen mit Behinderungen nicht schon viel früher inkludiert hat. »

Markus Mäder, Laufbahnberater für Erwachsene mit ADHS

Influencer Graf betonte ausserdem, dass es bei der Ausbildung nötig sei, die persönlichen Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen. Und brachte das Publikum zum Lachen, als er erzählte, dass er ein sehr schlechter KV-Mitarbeitender gewesen sei. Als Sonderschüler machte er nach der Schulzeit die in seiner Generation für viele Menschen mit Behinderungen typische KV-Anlehre und wollte dann unbedingt weg aus dem zweiten Arbeitsmarkt. Tatsächlich fand sich ein Job in einem Treuhandbüro. Aber: Der Computer hat zu wenig mit mir gesprochen, merkte er humorvoll an. Weder sein Vorgesetzter noch er seien damit sehr glücklich gewesen. Als Moderator sei er nun deutlich tauglicher und habe seinen Platz gefunden.

Markus Mäder, ehemaliger Personalchef und aktueller Laufbahnberater für Erwachsene mit ADHS brachte seine Perspektive als neurodiverse Person mit in die Runde. Er merkte an, dass die Haltung und Sensibilisierung von Führungspersonen wesentlich seien. Wenn die Haltung auf Führungsebene stimme, seien die notwendigen Anpassungen am Arbeitsplatz viel leichter umzusetzen. 

Der Berner setzt grosse Hoffnungen in den Fachkräftemangel: «Inklusion ist ein Kulturwandel und ein solcher kommt selten freiwillig. Der Fachkräftemangel könnte nun jedoch massgeblich dazu beitragen, dass die Arbeitswelt sich attraktiver für Menschen mit Behinderungen machen muss.» Und er zeigte sich überzeugt: «Am Ende werden sich alle fragen, warum man Menschen mit Behinderungen nicht schon viel früher inkludiert hat.»

Ungleichheiten im Arbeitsmarkt: Herausforderungen für Menschen mit schweren Behinderungen in der Schweiz

Menschen mit schweren Einschränkungen im Alltag sind über ihre ganze berufliche Lebensphase stärker von der Teilhabe im ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Als schwer behindert gelten in der Schweiz ein knappes Drittel aller Menschen mit Behinderungen, in Zahlen 399 000. 51% von Ihnen sind erwerbstätig (vs. 87.8% bei Menschen ohne Behinderungen). 30.4 % arbeiten unter 20 Stunden pro Woche, das sind bei den Menschen ohne Behinderungen nur 13.1%. 

Die Erwerbsbeteiligung und die Vollzeit-Tätigkeit verringern sich in der Lebensphase über 40 noch einmal deutlich, hier sind noch 70% aller Menschen mit Behinderungen am Erwerbsleben beteiligt (vs. 90 bei den Menschen ohne Behinderungen) und zu 53% in Teilzeit tätig (gegenüber 36% bei jenen ohne Behinderung).

Die Zahlen beziehen sich gemäss Bundesamt für Statistik vorwiegend auf Menschen, die im ersten Arbeitsmarkt tätig seien. Im zweiten Arbeitsmarkt Arbeitende würden miterfasst, jedoch sei ihr Anteil in Stichproben äusserst klein.

Infografik zum Arbeitsmarktstatus & Beschäftigungsgrad von Menschen mit und ohne Behinderungen, 2021, Quelle BFS

Infografik zum Arbeitsmarktstatus & Beschäftigungsgrad von Menschen mit und ohne Behinderungen, 2021, Quelle BFS