Bildquelle: Pro Infirmis

Die Symbolkraft der Behindertensession ist beachtlich. Eine eigene Session im Bundeshaus haben bisher nur Frauen und junge Menschen bekommen. Auch wenn diese Session keinen rechtskräftigen politischen Entscheid treffen kann, so kann sie doch wichtige politische Entwicklungen anstossen. Die debattierten Themen erhalten politisch und medial Aufwind.

Es wäre verfehlt diesen historischen Tag einzig kritisch zu sehen. Dafür ist er viel zu gut gelungen: Pro Infirmis hat eine kompetente Kommission eingesetzt, online eine Wahl durchgeführt und dabei erste Erfahrungen mit der Durchführung der Session gesammelt. Die Aufbruchsstimmung im Nationalratssaal war deutlich spürbar. Hochwertige Voten und vielfältige Stimmen, die sonst nur am Rande wahrgenommen werden, standen für einmal im Zentrum. Die Message kam an: Menschen mit Behinderungen sind im politischen Treiben normalerweise untervertreten. Ihre Bedürfnisse werden in der Politik noch zu oft nur indirekt vertreten. Ihre Lobby ist viel schwächer als die von anderen Bevölkerungsgruppen. Es ist Zeit, dies zu ändern.

Die Frage der Zusammensetzung des Behindertenparlamentes sei hier trotz des historischen Momentes gestellt. Ein Parlament, das die Diskriminierung von behinderten Menschen zum Thema macht, sollte selbst vielfältig und ausgewogen sein. Es geht nicht, von der Gesellschaft Gerechtigkeit in Bezug auf Repräsentation zu fordern und in den eigenen Reihen nicht darüber zu debattieren, wie repräsentativ die eigene Zusammensetzung ist. 50 Prozent der Invalidenrenten gehen an Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung, diese und andere waren im Behindertenparlament vom letzten Freitag massiv untervertreten.

Eine demokratische Wahl wird nie vollständig fair sein und nie genau die statistischen Verhältnisse abbilden. So gesehen ist es verständlich, dass sich Pro Infirmis gegen eine harte Quote entschieden hat. Dennoch könnte das Wahlprozedere künftig vielleicht nachjustiert werden. Die Behinderungsform ist relevant innerhalb der Behindertenszene. Rollstuhlfahrende haben nicht dieselben Alltagsprobleme wie Menschen mit einer Schizophrenie. Eine kognitive Beeinträchtigung hat nicht dieselben Auswirkungen wie eine Muskelerkrankung. Es ist wichtig, alle Sichtweisen in politische Prozesse einzubringen, das war auch die Forderung dieser Behindertensession.

Falls sich künftig etwas an der Zusammensetzung des Behindertenparlamentes ändern soll, benötigt es aber auch eine veränderte Haltung bei Betroffenen von untervertretenen Behinderungsformen. Sie müssten bereit sein, sich zu zeigen, und sich für politische Veränderungen aktiv einsetzen. Auch Behindertenverbände wie die Pro Infirmis oder Pro Mente Sana könnten ihren Beitrag dazu leisten, indem sie entsprechende Zielgruppen noch stärker für politische Prozesse befähigen.