Vor über 10 Jahren kam Rittiner mit der Gebrärdensprache in Berührung, als sie einem gehörlosen Jungen begegnete. Sogleich war sie von dieser Sprache fasziniert. Nachdem sie vom Bachelor-Studiengang Gebärdensprachdolmetschen erfuhr, meldete sie sich dafür an. Bildnachweis: Michael Waser.
Sie bewegt Finger, Hände, Arme und gleichzeitig ihren Gesichtsausdruck. Die Bewegungen sind mal fliessend, mal stockend, dann langsamer und erneut flüssiger. Ganz nach der Art und Weise der Person, die spricht, und die Laura Rittiner gerade dolmetscht. Dabei sitzt sie aufrecht auf einem Stuhl, ganz in Schwarz gekleidet, eine dunkle Brille auf ihrer Nase, die braunen Haare hochgebunden. Rittiner, die ursprünglich aus dem Wallis kommt und in Bern wohnt, ist an diesem Tag zusammen mit einer Berufskollegin im Emmental im Einsatz, wo ein zwölfköpfiges Team für eine Retraite tagt.
Die 32-jährige Rittiner arbeitet für Procom, einer Stiftung, die Dolmetsch-Dienstleistungen anbietet, zum Beispiel für Aus- und Weiterbildungen, Sitzungen am Arbeitsplatz, Terminen bei Behörden, Elternabende an Schulen und viele mehr. Daher erhält Rittiner von Procom regelmässig Anfragen.
Mehr Autonomie
Seit Laura Rittiner ihre Teilzeitstelle mit regelmässigen Arbeitszeiten gekündigt und den Sprung ins Vollzeit-Dolmetschen gewagt hat, gleicht keine Woche einer anderen. So kann die gelernte Kauffrau beispielsweise einen Tag unter der Woche fürs Wandern freihalten und ist dafür an einem Wochenende bei der Arbeit anzutreffen. «Ich geniesse die Freiheit, eigenständig die Arbeitszeiten zu planen», sagt Rittiner und fügt an, dass das nicht immer einfach sei, wenn viele Anfragen kommen. Da müsse sie aufpassen, dass die Zeiten für die Erholung nicht zu kurz kommen.
Vor über 10 Jahren kam Rittiner mit der Gebrärdensprache in Berührung, als sie einem gehörlosen Jungen begegnete. Sogleich war sie von dieser Sprache fasziniert. Nachdem sie vom Bachelor-Studiengang Gebärdensprachdolmetschen erfuhr, meldete sie sich dafür an.
Rittiner gefällt die Vielseitigkeit ihres Berufs. «Routinen langweilen mich mit der Zeit.» Sie habe in einige Bereiche, wie etwa in der Hotellerie gejobbt. Aber das Gebärdensprachdolmetschen habe sie gepackt. Hier treffe sie immer wieder auf interessante Personen und auf ein breites Themen- und Einsatzspektrum.
Auf die Frage, welcher Einsatz ihr speziell in Erinnerung geblieben ist, antwortet sie: «Einmal durfte ich bei einer Geburt zwischen Hebammen, Ärzten, Pflegefachpersonen und der Gebärenden dolmetschen, bis das Neugeborene das Licht der Welt erblickte. Das war ein sehr emotionales und berührendes Erlebnis.»
« Einmal durfte ich bei einer Geburt zwischen Hebammen, Ärzten, Pflegefachpersonen und der Gebärenden dolmetschen, bis das Neugeborene das Licht der Welt erblickte. Das war ein sehr emotionales und berührendes Erlebnis. »
Obwohl Rittiner als Dolmetscherin bereits eine Vielzahl von Einsätzen hatte, gebe es immer noch zahlreiche, die sie nicht kenne. «Ich brauche die Herausforderung», mich immer wieder auf ein neues Themen- und Einsatzgebiet einzulassen. «Das heisst nicht, dass ich alle Anfragen annehme, sondern ich wäge zuerst ab, ob ich mich mit meinen Gebärdensprachkenntnissen und meinem Wissen einbringen kann», erläutert Rittiner.
Sich informieren vor einem Einsatz
In den ersten Monaten nach ihrer Ausbildung zur Gebärdensprachdolmetscherin hat Rittiner vor allem Aufträge in kleinen Settings übernommen, bei denen nur wenige Personen zugegen waren. Denn «Gruppengespräche sind dynamischer und anspruchsvoller», da sie nicht nur übersetze, was eine Person sage, sondern zusätzlich ihre Art zu sprechen.
Als guten Einstieg in den Beruf gelten Einsätze, bei denen die Chance gross ist, vorher Unterlagen zu bekommen, wie etwa Referatsskripts oder Sitzungsprotokolle. Und «auch heute sind Unterlagen wertvoll», ergänzt Rittiner. Anhand diesen kann sie, zum Beispiel vor einer Beerdigung im Gebärdensprach-Lexikon nachschlagen. Kennt sie die spezifischen Begriffe und Abläufe nicht, etwa für eine Gerichtsverhandlung, so recherchiere sie vor dem Einsatztermin im Internet danach.
Mirjam Münger, Journalistin bei Reporter:innen ohne Barrieren, im Gespräch mit Laura Rittiner. Bildnachweis: Michael Waser.
Eine komplett andere Sprache
Bis Laura Rittiner flüssig gebärden konnte, hat sie viel trainieren müssen. Denn die Gebärdensprache ist ganz anders als eine Lautsprache. Sie wird allein mit den Händen, dem Oberkörper und der Mimik ausgeführt und über die Augen aufgenommen. Rittiner sagt, dass neben einer guten visuellen Auffassungsgabe eine gute Feinmotorik der Finger und Hände von Vorteil sei.
Hinzu kommt, dass die Gebärdensprache eine eigene Grammatik hat. Mit der Mimik, werden beispielsweise die Adjektive gesteigert oder eine Frage angezeigt.
Auch werden die Wörter nicht wie in der Lautsprache aneinandergereiht. Vielmehr können in der Gebärdensprache eine Reihe von Informationen gleichzeitig übermittelt werden.
« Wir Dolmetscher:innen müssen nicht nur lernen, selber mehrere Informationseinheiten in eine Gebärde zu integrieren, sondern umgekehrt auch die Fülle von Informationen aus einer Gebärde aufzunehmen. »
Zum Beispiel kann mit einer einzelnen Gebärde ausgedrückt werden, wer wem und auf welche Weise ein Buch gibt. «Wir Dolmetscher:innen müssen nicht nur lernen, selber mehrere Informationseinheiten in eine Gebärde zu integrieren, sondern umgekehrt auch die Fülle von Informationen aus einer Gebärde aufzunehmen.» Besonders am Anfang habe sie das überfordert. «Abends war ich dann total kaputt», erinnert sich Rittiner. Andererseits: «Seit ich gebärden kann, denke ich vermehrt visuell.» Ihr räumliches Vorstellungsvermögen sei geschärft worden.
Rittiner bezeichnet die Kommunikation in Gebärdensprache als sehr wertschätzend, weil «die Gesprächsteilnehmer:innen sich dabei anschauen müssen. Die Aufmerksamkeit für das Gegenüber ist grösser und das Gespräch ist präsenter.» Das vermisse sie gelegentlich bei hörenden Menschen, die sich beim Sprechen generell weniger ansehen.
«Routinen langweilen mich mit der Zeit.» Die Gebärdensprachdolmetscherin Laura Rittiner im Gespräch mit Journalistin Mirjam Münger. Bildnachweis: Michael Waser.
Keine Partei ergreifen
Ihre Anwesenheit in den Einsatzfeldern beschreibt Rittiner so: «Ich bin nicht Teil der Gesprächsgruppe, aber trotzdem dabei.» Während der Arbeit konzentrieren sich die Dolmetscher:innen darauf, Gesprächsinhalte von einer Sprache in die andere zu übermitteln. Sie beteiligen sich – gemäss dem Berufskodex – nicht selbst am Gespräch und ergreifen keine Partei.
«Manchmal nehme ich Eindrücke mit, die mich beschäftigen», etwa wenn das Übersetzen einer Person herausfordernd gewesen sei, sagt Rittiner. Nach Abschluss eines Auftrags nehme sie sich Zeit, darüber zu reflektieren, was sie allenfalls verbessern könnte, und was bei ihr noch nachklinge. Heimfahrten mit dem Zug und Spaziergänge nach der Arbeit seien wunderbar, um die Arbeitseinsätze zu verarbeiten und abzuschliessen.
Danach wende sie sich anderen Dingen zu, wie dem Kochen, Lesen, sich mit Freunden oder Familienangehörigen zu treffen. «Ein regelmässiger Tapetenwechsel ist wichtig, um für den nächsten Einsatz fit zu sein».
Interview in Gebärdensprache
Das Gespräch von RoB-Journalistin Mirjam Münger mit Gebärdensprachdolmetscherin Laura Rittiner fand in Gebärdensprache statt.