Michel Fornasier. Bildnachweis: Michael Waser
Damals stellte der Mann hinter der Figur – Michel Fornasier – fest, dass er immer wieder von Kindern auf seine Prothese angesprochen wird. Denn im Gegensatz zu einer herkömmlichen, hautfarbenen Prothese ist Fornasiers künstliche Hand beweglich und durchsichtig. Sie gibt Einblick auf sechs Motoren, die ihm die Beweglichkeit in den Fingern ermöglichen. Durch Elektroden am Arm, die die Muskelkontraktionen messen, kann Fornasier die Befehle auslösen. Es handelt sich dabei um eine bionische Prothese. Die Kinder hätten ihn deshalb immer gefragt, ob seine Hand Superkräfte besitze. «Das habe ich anfangs verneint, bis ich merkte, dass sie Freude an der Vorstellung einer künstlichen Hand mit Superkraft finden», erinnert er sich. So entstanden die Comicfiguren Bionicman sowie sein weibliches Pendant Bionica. Diese sollen jedoch nicht die Behinderung ins Zentrum stellen, sondern für die Vielfalt der Menschen sensibilisieren, denn «eine vermeintliche Schwäche kann zur Stärke werden,» sagt Fornasier. Egal, ob grosse Ohren oder eine extrabreite Zahnlücke – alles könne, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, zur Besonderheit werden.
« Es wäre schön, wenn die Handprothesen etwas leichter und schneller in der Ausführung der Bewegungen sind. »
Doch wer ist Michel Fornasier, wenn der Superheld Feierabend hat? «Dann bin ich ein ganz normaler Mensch.» Ein Mensch, der gewaltfreie Comics schreibt, eine Selbsthilfegruppe für körperlich behinderte Mitmenschen leitet und sich für die Mobbingprävention stark macht. Jemand also, der seine Behinderung annimmt. Das sei aber nicht immer so gewesen, erzählt Fornasier. Vor allem als Teenager habe er versucht, seine fehlende Hand zu verstecken. Denkt er an sein erstes Date zurück, muss er schmunzeln: «Ich habe mir eine Gips-Hand gebastelt und erzählt, dass ich beim Skateboarden gestürzt sei.» Doch irgendwann war der Gips nicht mehr glaubhaft, die Wahrheit musste her. «Das Mädchen sagte mir, dass sie mich genauso möge, wie ich sei. Egal, ob mit drei Augen oder eben nur einer Hand.» Dieser Umgang mit seiner Behinderung sei für ihn wichtig gewesen, sagt Fornasier, vor allem als vorpubertierender Teenager, der seinen Platz in der Welt suchte.
In dieser Zeit machte Fornasier selbst erste Diskriminierungserfahrungen. Der leidenschaftliche Basketballspieler wollte beispielsweise an einem Camp teilnehmen. Er wurde jedoch gar nicht erst zur Aufnahmeprüfung zugelassen. «Der Leiter des Camps sah meinen Armstumpf und sagte, dass ich nicht mitmachen kann, weil man nicht bei den Paralympics sei», erzählt der 1.85 Meter grosse Mann. Er konnte also nicht ins Basketballcamp gehen, weil er keine Möglichkeit bekommen hatte, sein Talent zu zeigen. «Das war eine starke und sehr schmerzhafte Erfahrung.»
« Der Leiter des Camps sah meinen Armstumpf und sagte, dass ich nicht mitmachen kann, weil man nicht bei den Paralympics sei. Das war eine starke und sehr schmerzhafte Erfahrung. »
Scham und Ausgrenzung waren für Michel Fornasier in der Kindheit noch weit entfernt. Obwohl er das Leben mit nur einer Hand seit Geburt kannte, hatte diese ihm zu Beginn nie gefehlt. Er sei spielerisch damit umgegangen, sagt der Freiburger. So erinnert er sich beispielsweise an die «Wintermützen», die seine Grossmutter strickte, um den Stumpf warm zu halten. Oder an die lachenden Gesichter, die er und seine Schulkolleg:innen auf seinen Arm malten. Lediglich ein «Horrorerlebnis» aus seiner Kindheit habe sich in seine Erinnerungen negativ eingebrannt: Der Besuch beim Orthopädietechniker für die erste Prothese. Der damals Siebenjährige war schockiert von den hautfarbenen Händen und Beinen, die überall herumlagen. «Das sah aus wie in einem Horrorfilm.»
Von da an begleitete ihn die Prothese durch seinen Alltag, auch wenn er diese nicht rund um die Uhr trägt. Das hänge von seiner Tätigkeit ab, erklärt Fornasier. So gebe ihm die Prothese beim Velofahren mehr Sicherheit, für das Schuhe binden sei sie ihm aber ein Hindernis. «Weil ich das schon vorher lange ohne Prothese gemacht habe – das mache ich mit links», witzelt er. Für ihn sei die Prothese nicht Teil seines Körpers, sondern lediglich ein Hilfsmittel. Denn sie decke «nur» circa 15 Prozent der Funktionen einer menschlichen Hand ab. Um beispielsweise einen Ball werfen zu können, benötige es ungefähr ein halbes Jahr Training.
« Das Mädchen sagte mir, dass sie mich genauso möge, wie ich sei. Egal, ob mit drei Augen oder eben nur einer Hand. »
Michel Fornasier. Bildnachweis: Michael Waser
Momentan trägt Michel Fornasier eine bionische Prothese. «Ihre Ästhetik war für mich entscheidend», sagt er und betont die futuristische Optik der rund drei Kilo schweren Hand. Sie habe seinen Horizont erweitert, da sie ihm viel mehr Möglichkeiten biete. So kann er beispielsweise im Haushalt mit der einen Hand das Bügeleisen führen und mit der anderen Hand den Umhang von Bionicman zurechtlegen. Auch ist es ihm möglich, jeden einzelnen Finger zu bewegen. Via Smartphone kann Fornasier zudem spezifische Griffe programmieren. Spannt er etwa die beiden Unterarmmuskeln Flexor und Extensor an, kann er sich ein Popcorn greifen. Es sei aber stets ein Learning by doing, erklärt der 46-Jährige, denn jede Bewegung müsse bewusst ausgeführt werden.
« Alle sind gleich besonders – mit oder ohne Beeinträchtigung. »
«Selbstbestimmt», so fühle er sich mit diesem Hilfsmittel. «Ich habe mit meinem Schicksal Frieden geschlossen und verstecke meine körperliche Beeinträchtigung nicht mehr.»
Dass er seine Behinderung dadurch annehmen konnte, spürt er auch in seinem Umfeld: «Ich erlebe häufig, dass ich gleichwertig behandelt werde und mir die Menschen hilfsbereit begegnen.» Fornasier wünscht sich dennoch, dass irgendwann gar nicht mehr über Inklusion gesprochen werden müsse und Berührungsängste abgebaut seien:
Alle sind gleich besonders – mit oder ohne Beeinträchtigung.
Seine Wünsche an eine Prothese der Zukunft sind bescheiden. «Es wäre schön, wenn die Handprothesen etwas leichter und schneller in der Ausführung der Bewegungen sind.» So, dass der Superheld künftig seine Missionen noch schneller erledigen kann.
« Ich habe mit meinem Schicksal Frieden geschlossen und verstecke meine körperliche Beeinträchtigung nicht mehr. »
Michel Fornasier. Bildnachweis: Michael Waser