Das Bild zeigt eine Gesprächssituation in einem hellen Raum. Drei Frauen sitzen eng beisammen, ihre Gesichter sind nur teilweise sichtbar. Eine Frau, die links sitzt, hat die Hände vor ihrem Kinn verschränkt und scheint zuzuhören. Eine andere Frau in der Mitte hält ein Klemmbrett und einen Stift, mit dem sie offenbar Notizen macht. Sie trägt einen beigen Cardigan. Die dritte Person rechts ist nur unscharf im Vordergrund zu erkennen. Der Hintergrund ist dezent und zeigt Regale mit Aktenordnern und Kisten, was auf ein professionelles Umfeld hinweist.

Der aktuelle Umgang mit psychischen Erkrankungen in der Sozialen Arbeit verdeutlicht, wie wichtig ein offener Dialog sowohl für Betroffene als auch für Arbeitgebende ist.

Sozialarbeitende sind häufig da beruflich tätig, wo es brennt. Zum Beispiel auf sozialen Diensten, als Beistände, in Heimen für Menschen mit Behinderungen oder bei der aufsuchenden Unterstützung von Familien. Dort unterstützen sie Menschen in herausfordernden Lebenssituationen. 

Aber was passiert, wenn Sozialarbeitende psychisch erkranken? Wie gehen sie selbst damit um und wie ergeht es ihnen am Arbeitsplatz? Arbeitgebende hätten Angst vor den Folgen einer psychischen Erkrankung bei Mitarbeitenden, insbesondere längeren Ausfällen, es sei nicht ratsam in einem Vorstellungsgespräch allzu offen zu sein. Das ist eine der Grundaussagen im Interview. Auch seien psychische Erkrankungen stärker stigmatisiert als körperliche. Stimmt das? Und wie lässt sich dies erklären, in einem Berufsfeld, welches sich für Inklusion und Diversität einsetzt?

Rahel Stuker, Geschäftsführerin von INSOS, dem Branchenverband der Dienstleister für Menschen mit Behinderungen, weiss von keinen konkreten Fällen. Sie sagt: «Psychische Erkrankungen sind aus Sicht von INSOS genauso wie physische Einschränkungen in der Arbeitswelt zu respektieren. Eine Stigmatisierung wäre inakzeptabel und zu unterbinden.» Für die Einstellung oder Wiedereingliederung von erkrankten Personen benötige es zwingend die sorgfältige Begleitung durch eine Führungsperson, idealerweise auch ein internes betriebliches Gesundheitsmanagement. Ausserdem müssten die Tätigkeiten den Kompetenzen und dem Gesundheitszustand der Arbeitnehmenden entsprechen.

« Psychische Erkrankungen sind aus Sicht von INSOS genauso wie physische Einschränkungen in der Arbeitswelt zu respektieren. Eine Stigmatisierung wäre inakzeptabel und zu unterbinden. »

Rahel Stuker, Geschäftsführerin INSOS, Branchenverband der Dienstleister für Menschen mit Behinderungen

Einer, der sich mit gesundheitlichen Themen am Arbeitsplatz auskennt, ist Thomas Geisen, Professor für Arbeitsintegration und Eingliederungsmanagement an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Olten. Er sagt vorweg, dass es schlecht um die Datenlage zu Gesundheit am Arbeitsplatz in sozialen Organisationen in der Schweiz stehe. Das mache eine wissenschaftliche Einordnung herausfordernd. Geisen kennt jedoch die branchenübergreifenden Studien und sagt dazu: «Die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen ist generell verbreitet. Es ist davon auszugehen, dass die Soziale Arbeit hier keine Ausnahme darstellt.» Über die Gründe kann gemutmasst werden. «Für Expert:innen ist es oft schwierig, sich einzugestehen, dass das eigene professionelle Wissen nicht vor psychischen Krisen schützt. Dass also Fachleute, genau wie alle anderen, auch von psychischen Belastungen und Erkrankungen betroffen sein können.»

Aus der Forschung wisse man, dass Unsicherheit über den Umgang mit Personen, die an einer psychischen Krankheit leiden, ein starkes Motiv für Stigmatisierung sei. Diese könne sowohl aufseiten der Betroffenen als auch bei deren Umfeld aufkommen. Arbeitgebende hätten in einem ersten Impuls oft das Bedürfnis, die erkrankten Angestellten zu entlasten. In der Wahrnehmung von Betroffenen seien diese Massnahmen aber nicht immer gut. Sie gäben häufig an, sich als Fachperson nicht mehr vollwertig behandelt zu fühlen und für interessante Aufgaben oder Führungsfunktionen nicht mehr in Betracht gezogen zu werden, sagt Geisen. «Es ist ein Dilemma: Bei psychischen Erkrankungen ist Transparenz gegenüber Arbeitskollegen und Vorgesetzten zwar hilfreich; gleichzeitig kann diese Transparenz auch eine Stigmatisierung nach sich ziehen.» Daher müsse man sehr genau hinschauen, vielfach helfe es in solchen Fällen den Dialog zu suchen. 

Auch Geisen nennt Betriebliches Gesundheitsmanagement als ein mögliches Mittel, um mehr Wissen im Umgang mit psychischen Erkrankungen in Betriebe einzubringen. Der Begriff umfasst alle systematischen gesundheitsfördernden Vorkehrungen innerhalb eines Betriebes. Das können Präventionsmassnahmen, aber auch Regeln zur Arbeitssicherheit, die Unterstützung von Betroffenen im Rahmen eines Case-Managements, oder die Sensibilisierung von Führungspersonen sein. Letztere könnten zum Beispiel lernen, frühzeitig zu reagieren, wenn sich eine psychische Erkrankung abzeichnet. 

« Es ist ein Dilemma: Bei psychischen Erkrankungen ist Transparenz gegenüber Arbeitskollegen und Vorgesetzten zwar hilfreich; gleichzeitig kann diese Transparenz auch eine Stigmatisierung nach sich ziehen. »

Thomas Geisen, Professor für Arbeitsintegration 
und Eingliederungsmanagement, FHNW, Olten

Thomas Geisen führt weiter aus: «Oft reagieren Vorgesetzte erst, wenn eine Person länger ausfällt. Aber eine psychische Erkrankung kommt meist nicht über Nacht, sondern zeichnet sich über längere Zeit ab. Je früher am Arbeitsplatz reagiert wird, desto besser stehen die Chancen, dass es nicht zu einer langen Krankschreibung kommt.» 

Nur etwa ein Drittel aller Unternehmen in der Schweiz, vor allem solche mit mehr als 50 Mitarbeitenden, habe ein betriebliches Gesundheitsmanagement. Auch dazu fehlten jedoch Zahlen, die sich dezidiert auf Soziale Organisationen und dort tätige Sozialarbeitende beziehen. Thomas Geisens persönlicher Eindruck ist, dass die Branche gegenüber anderen, wie beispielsweise der Industrie, hinterherhinkt in Sachen Gesundheitsmanagement. «In Branchen wie der Industrie sind gesetzliche Auflagen stärker verankert und es gibt Sensibilisierungskampagnen, unter anderem durch die SUVA. Dadurch ist das Thema Gesundheit dort schon länger in deren Bewusstsein gerückt. Für den sozialen Bereich ist das kaum der Fall.» 

Yvonne Kahl, Professorin für Soziale Arbeit an der Fliedner Fachhochschule, und Jürgen Bauknecht, Professor für Sozialpolitik an der Hochschule Koblenz, haben 2023 eine gemeinsame Studie veröffentlicht. Sie sind der Frage nachgegangen, welche Faktoren eine psychische und emotionale Erschöpfung unter Sozialarbeitenden begünstigen oder reduzieren. Die in der Studie am häufigsten genannte Belastung besteht darin, dass Sozialarbeitende keinen Einfluss auf das Arbeitsvolumen haben und sich dadurch gestresst fühlen. Demgegenüber stehen jedoch auch Resilienzfaktoren, welche die Fachkräfte schützen: Ein guter Teamzusammenhalt, das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, und das Bewusstsein, dass die Tätigkeit wichtig ist. 

Kahl und Bauknecht nennen verschiedene konkrete Möglichkeiten, wie Betriebe ihre Mitarbeitenden präventiv unterstützen können. Neben Teamsupervisionen sei unter anderem der Zugang zu Einzelsupervisionen, Coachings und weiteren Beratungsangeboten hilfreich, um die emotionalen Anforderungen im Job bewältigen zu können. Die beiden Autor:innen plädieren ausserdem dafür, den Blick nicht nur auf personenbezogene Massnahmen zu richten: Es brauche auch ein berufspolitisches Engagement, das von Führungskräften gefördert und vorgelebt wird und in Folge auch auf Ebene der Mitarbeitenden umgesetzt werden kann.

Studie: «Psychische und emotionale Erschöpfung von Fachkräften der Sozialen Arbeit»

Die wissenschaftliche Studie von Jürgen Bauknecht und Yvonne Kahl aus dem Jahr 2023 beleuchtet die Mechanismen und Folgen der Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz. Sie zeigt auf, wie wichtig ein gut strukturiertes betriebliches Gesundheitsmanagement ist und wie Führungskräfte zur Entstigmatisierung beitragen können.

Link zur Studie