Das neue ADC Zürich. Bildquelle: Petra Wolfensberger
In einem knalligen Pink ziert der Neonschriftzug ADC eine der vier Wände, in denen die barrierefreie Technologie der Zukunft entstehen soll. ADC, das ist die Abkürzung des Accessibility Discovery Centers, das Google gemeinsam mit über 50 Partner:innen am 16. Mai 24 in Zürich eröffnet hat. Der Begegnungsort direkt am Bahnhof soll Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenbringen. Gemeinsam sollen sie Ideen und Produkte entwickeln, die Barrieren im Alltag von Menschen mit Behinderungen aufheben.
Das sich gerade Google dieser Herausforderung annimmt, ist wenig überraschend. Denn der Weltkonzern hat sich der Vision verschrieben, eine Technologie zu erschaffen, die nicht nur für einen statistischen Schnitt, sondern für alle Menschen zugänglich ist – so auch für die rund 16 Prozent der Weltbevölkerung, die mit einer Behinderung leben.
« Wir müssen gemeinsam einen Mindset-Switch machen »
Barrieren abbauen, Chancen nutzen
Was vergangenen November noch eine Idee war, ist nun Wirklichkeit. Und ihre Notwendigkeit offensichtlich: «Wir müssen gemeinsam einen Mindset-Switch machen», erklärt Patrick Schilling, ADC Lead Google Schweiz, in seiner Eröffnungsrede. Es sei Zeit, das Narrativ zu verändern: Weg von den Defiziten hin zu der Frage, was Technologie Menschen mit Behinderungen ermöglichen kann. Genau da setzt das ADC an und schafft einen Raum für Antworten.
In luftigleichter, heller Umgebung können sich insbesondere Entwickler:innen und Menschen mit Behinderungen austauschen und tüfteln. Aber auch alle anderen sind willkommen: Nebst einem Angebot an Workshops rund um barrierefreie Technologien kann das ADC auch von gemeinnützigen, akademischen und weiteren Organisationen gebucht werden.
Arcade-Spielautomaten im ADC Zürich. Bildquelle: Petra Wolfensberger
Die Attraktion des ADCs sind die barrierefreien Technologien, die ausprobiert werden können. An sechs Stationen dürfen Interessent:innen spielerisch entdecken, was es heisst, beispielsweise mit einer körperlichen Behinderung zu leben oder auf eine Bildschirmvergrösserung angewiesen zu sein. Sie können unter anderem ein Autorennen fahren, indem sie den Wagen lediglich durch das Bewegen der Augen, dem sogenannten Eye Tracking, steuern.
Was nach Spass klingt, habe aber einen weiterführenden Zweck für eine:n tatsächliche:n Nutzer:in, so Dirk Ginader, Teamleiter barrierefreie Google Tools. «Eine Person kann dadurch spielerisch erlernen, wie sie später im beruflichen Alltag ihren Computer auch mit körperlichen Einschränkungen in höchster Geschwindigkeit bedienen kann.»
« Die Digitalisierung und vor allem das Internet waren mein Tor zur Welt. »
Digitalisierung schafft Teilhabe – aber nicht immer für alle
Auch Islam Alijaj, SP-Nationalrat aus Zürich, betont in seiner Ansprache, wie wichtig der digitale Fortschritt für seine politische Tätigkeit sei. Denn Alijaj lebt aufgrund einer Cerebralparese mit einer Sprech- und Gehbehinderung sowie eingeschränkten Funktionen der Finger «Die Digitalisierung und vor allem das Internet waren mein Tor zur Welt. Ohne diese Errungenschaften sässe ich heute nicht hier. Mein Potenzial, mein Beitrag zur Gesellschaft, würde vergeudet.» Dies sei die eine Seite der Digitalisierung, sie führe zu mehr Chancengleichheit und mehr Teilhabe, kurzum zu mehr Inklusion.
Aber es gäbe auch eine andere Seite. Eine Sprachsteuerung sei mit einer nicht normgerechten Sprache beispielsweise kaum möglich. Alijaj erhofft sich eine gemeinsame Entwicklung inklusiver Lösungen und Produkte. «Hier nehme ich das ADC und insbesondere auch Google in die Pflicht.» Als Techgigant habe Google die Innovationskraft und alle Möglichkeiten, um das Leben vieler Menschen mit Behinderungen zu revolutionieren.
« Informationen sind ein wichtiges Mittel, um Barrieren niederzureissen »
Mit vielfältigen Projekten Sichtbarkeit schaffen
Welche Möglichkeiten der digitale Wandel mit sich bringt, wird im Verlauf des Abends anhand innovativer Projekte unterstrichen. Mit der App Ginto beispielsweise schafft Gründer Julian Heeb eine Zugänglichkeitsplattform für Rollstuhlfahrende. Auf der Grundlage verschiedener Kriterien werden differenzierte Informationen über die Barrierefreiheit erfasst.
Nutzer:innen mit einem persönlichen Profil ermöglicht dies eine rasche und verlässliche Information über die Zugänglichkeit eines Hotels oder Restaurants. «Informationen sind ein wichtiges Mittel, um Barrieren niederzureissen», so Heeb. Die Digitalisierung biete eine grosse Chance, weil sie erlaube, Informationen individuell auszuwerten. Denn nicht alle Rollstühle und längst nicht alle Rollstuhlfahrer:innen würden dieselben Anforderungen an die Barrierefreiheit stellen.
Besonders wertvoll sind Technologien aber nicht nur da, wo bauliche Barrieren bestehen. Durch die Videodolmetschung von DolmX können auch sprachliche Barrieren überwunden und die Kommunikation ermöglicht werden – von der Lautsprache in die Gebärdensprache, aber auch andersrum. Ein solches Angebot ist vor allem in gesundheitlichen Notfällen von grosser Relevanz.
Dank der Plattform steht maximal 30 Minuten nach Buchung steht ein:e Dolmetscher:in zur Verfügung, noch in diesem Jahr soll die Wartezeit halbiert werden. «Kommunikation ist das A und O, wenn es um Menschen geht», sagt Chief Executive Officer Nielufar Saffari. Dabei betont sie, wie wichtig es sei, generell mehr Sichtbarkeit für Menschen mit Behinderungen zu schaffen: «Inklusion ist für Menschen ohne Behinderungen meist kein Thema, weil sie oft gar nicht wissen, mit welchen Hürden diese im Alltag konfrontiert sind.»
« Ich will, dass dieses Ding genutzt wird. Und zwar sowohl intern als auch extern. »
Auch Forderungen finden Gehör
Die Faszination für bestehende Technologien wird an diesem Abend deutlich, eine Aufbruchstimmung ist spürbar. Diese ist jedoch auch mit klaren Forderungen verbunden. Denn man dürfe bei der ganzen Innovation auch den Digital Gap nicht ausser Acht lassen, so Saffari. Nicht alle können sich barrierefreie Technologien leisten und auch nicht alle würden über die Möglichkeiten verfügen, diese zu bedienen.
Patrick Schilling und Islam Alijaj bei der Eröffnung des ADC. Bildquelle: Petra Wolfensberger.
Darauf legt auch Nationalrat Philipp Kutter (Die Mitte) ein besonderes Augenmerk. In seinem Schlusswort mit Parteikollege und Nationalrat Christian Lohr betont er, dass jeder Mensch eigene Bedürfnisse mitbringe. «Es braucht deshalb zwingend individuelle Lösungen.»
Ob das ADC diesen Forderungen gerecht werden kann, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Der Wunsch des ADC Leads Patrick Schilling ist indes weniger visionär, sondern ganz praktischer Natur: «Ich will, dass dieses Ding genutzt wird. Und zwar sowohl intern als auch extern.»