Symbolbild: Assistenzpersonen helfen Menschen mit Behinderungen in unterschiedlichsten Lebensbereichen. Bildnachweis: Freepik
Oops, I did it again – was Britney Spears im spielerischen Kontext trällert, ist bei mir knallharte Realität. Ein weiteres Jobinserat habe ich ausgeschrieben, ein weiteres hat seine Laufdauer von 30 Tagen erreicht. Bewerbungen habe ich wieder keine erhalten. Dabei scheint der Assistenzjob auf den ersten Blick doch so attraktiv: Eine aufgestellte, gewissenhafte und organisierte Chefin. Flache Hierarchien. Keine Anforderungen an eine Ausbildung in der Pflege und ein Dienstplan, bei dem sich meine Assistenzpersonen die für sie passenden Einsätze herauspicken können. Oben drauf: Ein sinnstiftender Job.
Ja, sinnstiftend ist der Assistenzjob allemal. Dank meinem Assistenzteam kann ich morgens um 6.30 Uhr aufstehen und einer Arbeit im Vollzeitpensum nachgehen. Dank dem Leben in den eigenen vier Wänden kann ich eigenständig entscheiden, wann ich zu Bett gehe, wann ich duschen oder die Pflanze von Oma Frieda umtopfen will. So banal aber so wichtig für ein selbstbestimmtes Leben in meinem Zuhause.
Win-Win beim Wohnen
Doch nicht nur für mich bringt das Leben mit Assistenz Vorteile: Dadurch, dass ich im Vergleich zum Wohnen in einer Institution keine Rundum-Betreuung benötige, koste ich die Invalidenversicherung weniger. Sparen. Das tun wir Schweizer:innen natürlich gerne. Indem ich – wiederum im Gegensatz zum Heim – Lohnabrechnungen und -zahlungen, Dienst- und Ferienpläne sowie alle rechtlichen und organisatorischen Angelegenheiten selbst und unentgeltlich privat abwickle, spart die IV sogar doppelt!
« Jedes Mal, wenn ich meine Mails checke und keine Bewerbungen darunter sind, fühle ich mich machtlos und eine leise Angst steigt in mir auf. Denn finden Arbeitgebende wie ich zukünftig keine Assistenzpersonen mehr, sind die Folgen haarsträubend. »
Mit dem im Jahr 2012 eingeführten Assistenzbeitrag kommt die IV der UNO-Behindertenkonvention nach, die im Artikel 19 das Recht auf eine frei wählbare Wohnform fordert. Eine gute Ausgangslage also für Menschen mit Behinderungen, denn das Leben mit dem Assistenz-Modell birgt das höchste Mass an Selbstbestimmung.
Zeit für Weiterentwicklungen ist überfällig
12 Jahre sind seit Inkrafttreten des Assistenzmodells vergangen. Nach wie vor präsentiert es sich voller Stolz. Die paar Rappen Lohnerhöhung könnten sogar als Weiterentwicklung gedeutet werden.
Die Welt hat sich jedoch schon längst weitergedreht. Arbeit hat für viele – vor allem junge Menschen – einen anderen Stellenwert als früher. Knapp 27 CHF brutto Stundenlohn lässt keine grossen Sprünge zu – vor allem nicht inmitten einer Inflation! Zudem dauert der Arbeitsweg nicht selten gleich lange wie der oftmals kurze Arbeitseinsatz.
Die Arbeitswelt ist knallhart. Mithalten können wir Assistenz-Arbeitgeber:innen schon lange nicht mehr. Wo früher der sinnstiftende Job Grund für einen Stellenantritt war, sind heute die schlechte Arbeitsbedingungen ausschlaggebend für Absagen.
« Die IV steht in der Pflicht, Lösungen für diese prekäre Situation zu präsentieren. Dazu braucht es auch politische Grundlagen, wie sie unter anderem von der Inklusions-Initiative gefordert werden. »
Jedes Mal, wenn ich meine Mails checke und keine Bewerbungen darunter sind, fühle ich mich machtlos und eine leise Angst steigt in mir auf. Denn finden Arbeitgebende wie ich zukünftig keine Assistenzpersonen mehr, sind die Folgen haarsträubend. Wer hilft den Menschen mit Behinderungen noch vor Schichtbeginn einer Spitex aus dem Bett? Wer unterstützt sie beim Gang auf die Toilette?
Wenn der Eisberg zu schmelzen beginnt
Wer längerfristig nicht genügend Assistenzpersonen finden kann, bringt nicht nur bestehende Assistent:innen an den Rand eines Burnouts, sondern muss gezwungenermassen auch Abstriche bei der eigenen Unabhängigkeit und somit Selbstbestimmung machen. Als letzter Ausweg droht der enorme Rückschritt zu einem Heimplatz. Doch wie kommt man zu einem solchen, wenn auch Heime bereits überfüllt sind? Und wer würde den Menschen mit Behinderungen während der Wartefrist – die länger als ein Jahr dauern kann – assistieren? Hier geht es um existenzielle Ängste, mit denen Menschen mit Behinderungen alleine dastehen.
« Wo früher der sinnstiftende Job Grund für einen Stellenantritt war, sind heute die schlechte Arbeitsbedingungen ausschlaggebend für Absagen. »
Wie der Eisberg im Klimawandel beginnt auch das Assistenzmodell zu schmelzen, wenn wir nicht endlich handeln. Die IV steht in der Pflicht, Lösungen für diese prekäre Situation zu präsentieren. Dazu braucht es auch politische Grundlagen, wie sie unter anderem von der Inklusions-Initiative gefordert werden.
Arbeitgeber:innen dürfen mit dem Personalmangel nicht alleine gelassen werden. Es braucht Kampagnen zur Bekanntmachung und Sensibilisierung für das Leben mit Assistenz. Es braucht mehr Flexibilität innerhalb des Modells und in der Verwaltung der Assistenzstunden, sowie zeitgemässe – und auf den Assistenzjob zugeschnittene – Arbeitsbedingungen. Zudem benötigen wir Arbeitgebenden dringend eine Anlaufstelle, bei der wir in Notsituationen Unterstützung finden.
Anstatt sich weiterhin darauf auszuruhen und sich auch noch dafür auf die Schultern zu klopfen, dass vor 12 Jahren ein bedeutender administrativer Aufwand für ein Grundrecht – das Recht auf eine frei wählbare Wohnform – auf Menschen mit Behinderungen abgewälzt worden ist, müssen die zuständigen Institutionen jetzt eingreifen und Verantwortung übernehmen. Und das, bevor der Eisberg geschmolzen und Menschen mit Behinderungen in Existenzkrisen versunken sind.