Igel leben gerne in Städten, auch in Bern. Sie leben hier in privaten Gärten, Hecken und Pärken. Bildquelle: Pixabay.
„Wenn ich ein Igel wäre, dann fände ich diese Stadt ganz schön laut“, denke ich mir an diesem späten Abend im Juli. Ich sitze draussen im Garten des Mehrfamilienhauses, in dem ich wohne. Und bin auf Igelpirsch. Ich sitze im Dunkeln und versuche zu hören, ob sich im Asthaufen etwas bewegt. Das gestaltet sich schwierig.
Stadt als Lebensraum
Es ist laut an diesem Abend. Vom Gurten her wummert die Musik. Die Strasse nebenan ist auch spätabends befahren. Ein Flugzeug ist im Landeanflug, Menschen unterhalten sich laut, ein Gartentor wird zugeknallt. Grillenzirpen ist das einzige nicht-menschgemachte Geräusch, das ich in diesem Moment ausmachen kann. Der Eindruck, dass sich Wildtiere in solcher Umgebung nicht wohlfühlen könnten, täuscht aber. Siedlungsgebiete sind beliebt bei Igeln und weiteren Kleintieren. Sie finden die benötigten Kleinstrukturen wie Ast- und Laubhaufen, Holzbeigen, Totholz und Hecken heute nicht mehr primär in der Landwirtschaftszone, sondern in von Menschen bewohnten Gebieten, auch in Städten. Hier leben sie in privaten Gärten, in Pärken und Hecken.
Mit einer Rampe kann eine Treppe für Kleintiere zugänglich gemacht werden. Bildquelle: Stadtgrün Bern.
Mähroboter und Pestizide bedrohen Igel
Aber auch im Stadtgebiet sind sie bedroht: Zahlen zeigen, dass sich die Igeldichte in Städten in den letzten Jahrzehnten um mindestens einen Drittel verringert hat. Das haben Studien aus Zürich und England errechnet, auf dem Land ist der Schwund sogar noch stärker. Das Ergebnis dürfte gemäss Fachleuten in Bern ähnlich sein. Warum der Igelbestand so stark zurückgegangen ist, ist noch immer unklar. Nik Indermühle von der Fachstelle Natur und Umwelt von Stadtgrün Bern sieht mehrere mögliche Faktoren: „Igel ernähren sich primär von Insekten und Würmern. Deren Zahl hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verringert“, meint der Fachmann. „Auch moderne Gartenwerkzeuge wie Fadenmäher und Mähroboter können Igel direkt schädigen“. Er rät Gartenbesitzer:innen, diese Werkzeuge nur nach guter Prüfung der Wiese und tagsüber einzusetzen. Dann sei die Gefahr kleiner, dass Tiere zu Schaden kommen.
Zugänglichkeit ist überlebenswichtig für Jungtiere
Jetzt im Sommer gebären Igelmütter ihre Jungtiere. Bereits sechs Wochen später machen sich diese auf die Suche nach einem eigenen Revier. Sie müssen nicht nur rasch einen eigenen Lebensraum finden, es gilt auch genügend Gewicht zuzulegen, um den Winterschlaf zu überleben. „Der erste Winter ist nach wie vor der grösste Feind für Igel“, erklärt Nik Indermühle, „viele Jungtiere überleben diesen nicht.“
« Man muss für einen biodiverseren Garten nicht zwingend den ganzen Garten umgestalten. Oft reicht es, eine Ecke sich selbst zu überlassen, Laub im Herbst nicht wegzuräumen und weniger zu jäten. »
Die Jungigel stossen bei ihrer Suche nach einem eigenen Revier auf zahlreiche menschgemachte Hürden: Die vielen kleinräumigen Parzellen sind oft von Mauern und Drahtzäunen voneinander getrennt. Für kurze Igelbeinchen eine unüberwindbare Hürde. Auch Treppenstufen, Kellereingänge, Lichtschächte oder Brunnen können für die kleinen Säuger zur Hürde oder gar zur Todesfalle werden. Nik Indermühle sagt es plakativ: „Auch der schönste naturnahe Garten nützt Wildtieren nur etwas, wenn er für sie ungefährlich und zugänglich ist. Das ist vielen Menschen nicht bewusst.“ Hier setzt Stadtgrün Bern an: Im Praxishandbuch „Natur braucht Stadt“ finden sich zahlreiche Anregungen und Hinweise wie naturnahe Lebensräume geschaffen und diese zugänglich gestaltet werden können. Grosse Teile dieses Buches finden sich auch online auf der Website der Stadt.
Ein Loch im Zaun und ein Asthaufen
Auch wenn ich in dieser Julinacht auf meiner Igelpirsch keinen Igel sehe und nicht weiss, was genau in unserem Asthaufen lebt: Ein Ast- oder Laubhaufen ist gemäss Fachmann Nik Indermühle eine gute Basis für die Förderung der Biodiversität. „Darin können sich verschiedene Kleintiere, von Igeln, über Erdkröten, hin zu Spitzmäusen und Blindschleichen aufhalten“. Es brauche oft nur eine naturnahe Fläche von 2 mal 2 Metern, damit man den Kleintieren einen Unterschlupf und Nahrung bieten könne: „Man muss für einen biodiverseren Garten nicht zwingend den ganzen Garten umgestalten. Oft reicht es, eine Ecke sich selbst zu überlassen, Laub im Herbst nicht wegzuräumen und weniger zu jäten. “
« Begegnungen mit einem Tier sind ein Teil unserer städtischen Lebensqualität. Wenn wir ein Tier beobachten können, spüren wir ganz unmittelbar, dass wir immer noch Teil einer vielfältigen Natur sind. Solche Momente sind sehr kostbar.“ »
Etwas schwieriger ist es, bauliche Hürden für Igel umzugestalten. Kleine Rampen oder Steine als Tritthilfen können den Tieren helfen, sich wieder aus Fallen zu befreien oder Hindernisse zu überwinden. Drahtzäune können mit wenig Aufwand barrierefrei gemacht werden: Mit einer Zange können bodennah mindestens 12cm grosse Löcher geschnitten und die Drahtenden umgebogen werden. Fertig ist der barrierefreie Zaun. Etwas tiefer in den Geldbeutel greifen müssen Eigentümer:innen bei grossen Mauern: Hier kann mitunter nur eine professionelle Kernbohrung helfen, einen Durchgang zu schaffen.
Ein Asthaufen, in welchem Innen grössere Aststücke und Aussen Reisig und Laub liegen, ist für Igel ideal als Versteck und Winterquartier. Bildquelle: Stadtgrün Bern.
Der Igel als Schirmtier
Aktuell ist die Stadt Bern daran, eine Kampagne für die bessere Zugänglichkeit von Gärten in der Stadt zu konzipieren. Sie will künftig auf die tierischen Mitbewohner und deren Bedürfnisse aufmerksam machen und die Bevölkerung sensibilisieren. Der Igel nimmt dabei die Position eines Schirmtieres ein: Als Sympathieträger wirbt er für bessere Bedingungen, die auch zahlreichen anderen kleinen Säugetieren, Amphibien und Reptilien zugutekommen. Für Nik Indermühle geht es dabei nicht nur darum, deren Nützlichkeit aufzuzeigen. „Begegnungen mit einem Tier sind ein Teil unserer städtischen Lebensqualität. Wenn wir ein Tier beobachten können, spüren wir ganz unmittelbar, dass wir immer noch Teil einer vielfältigen Natur sind. Solche Momente sind sehr kostbar.“