Die Teilnehmer:innen des Workshops von BewegGrund folgen dem Geschehen aufmerksam. (Bildquelle: Véronique Murk, DIMA – Verein für Sprache und Integration)
Obwohl die Sonne strahlte, fanden sich an diesem Mainachmittag mehr als ein Dutzend Personen im Kulturzentrum «Heitere Fahne» in Wabern für einen Workshop ein. Ziel des Workshops «Macht und Privilegien im kulturellen Bereich» war, näher anzuschauen, wie die Zusammenarbeit zwischen hörenden und gehörlosen Menschen im Kulturbereich verbessert werden könnte. Dazu hatte BewegGrund die gehörlose Aktivistin Dane Cermane aus Berlin eingeladen, den Workshop zu leiten.
Zu Beginn waren die Anwesenden von den vielen Dolmetscherinnen etwas irritiert, weil zwei abwechselnd von der Gebärdensprache in die Lautsprache und umgekehrt übersetzten und zwei weitere die Deutsche Gebärdensprache DGS in die Deutschschweizer Gebärdensprache DSGS übertrugen. Nach und nach verflog die Irritation.
Viele Hindernisse für Menschen mit Gebärdenprache
Cermane, schlank und mit hellblonden Haaren, betonte in ihrem Inputreferat, wie wichtig es sei, gehörlose Menschen, die auf Gebärdensprache angewiesen sind, mit ihrer Sprache und ihrer Kultur einzubeziehen. Denn sie würden noch häufig bei Kontakten mit Behörden, bei Aus- und Weiterbildungen, in der Arbeitswelt und im Freizeitbereich ausgegrenzt, weil Übersetzungen in Gebärdensprache schwer zugänglich sind oder gar verunmöglicht werden. Für die Gebärde «Diskriminierung» bildete Cermane eine Faust und darüber eine flache Hand, welche die Faust niederdrückte. Die Gebärdensprache der als Bloggerin, Moderatorin und Referentin Tätigen strahlte eine Virtuosität und Grazie zugleich aus. Sich selbst bezeichnet Cermane lieber als taub und nicht als gehörlos, weil sie sich nicht als eine «arme Person, die nicht sprechen kann», betrachtet, sondern als eine, die mit der Gebärdensprache und der Gehörlosenkultur lebt.
Bitte keine oberflächliche Inklusion!
Bis jetzt haben in Deutschland einige Kulturveranstalter:innen eine Musik- oder Tanzvorführung durch Dolmetscher:innen in Gebärdensprache übersetzen lassen. Sie gingen davon aus, so zu einer gelungenen Inklusion gehörloser Menschen beigetragen zu haben. Dass das nur bedingt funktionierte, war den meisten nicht bewusst. Denn, so erklärte es Germane, erleben gehörlose Menschen Musik nicht wie hörende. Ausserdem hätten die Gehörlosen mit der Gebärdensprache und der Gehörlosenkultur eine eigene Sprache und Kultur, die eigene Wertvorstellungen und Verhaltensweisen beinhalten. Daher bestehe bei der Übersetzung einer musikalischen Aufführung, wie eines Konzerts oder Musicals das Risiko, dass die gedolmetschten Inhalte am gehörlosen Publikum vorbeigehen, ohne dass es ihre Bedeutung und ihre künstlerische Ästhetik aufnehmen kann.
Inklusion mit gehörlosen Performer:innen
Mit der Aussage, dass nicht Dolmetscher:innen, sondern gehörlose Menschen selbst auf der Bühne die künstlerische Darbietung in Gebärdensprache «performen» sollen, verblüffte Cermane die meisten Workshopteilnehmer:innen. Naheliegende Fragen nach dem Warum und dem Wie folgten umgehend.
Mit ihrer Forderung, dass gehörlose Menschen performen sollen, meinte Cermane aber nicht einfach ein Übersetzen von einer Sprache in eine andere, sondern das Übertragen der Inhalte in die andere Sprache und Kultur. Um darzulegen, warum gehörlose Kunstschaffende diese Aufgabe übernehmen sollen, zeigte Cermane ein Video. Dieses manifestierte die Unterschiede zwischen einer hörenden und gehörlosen Person beim Dolmetschen. Die Gebärden der hörenden Person wirkten flacher und oberflächlicher, wie eine Kopie der Darbietung. Dahingegen waren die Gebärden der gehörlosen Person gehaltvoller und emotionaler. Dass die Gebärdensprache in sich einen Reichtum trägt, und mit dem sich auch komplett abstrakte Inhalte ausdrücken liessen, zeigte Cermane mit weiteren Video-Ausschnitten. Da den Gehörlosen die Gebärdensprache näher liege, könnten sie leichter aus dem reichhaltigen Fundus ihrer Sprache und Kultur schöpfen und ihn künstlerisch für das «Performen» nutzen. Eine solche «Performance» gebe gehörlosen Menschen ein tiefergehendes kulturelles Erlebnis, gebärdete Cermane.
Dana Cermane im Einsatz (rechts). (Bildquelle: Véronique Murk, DIMA – Verein für Sprache und Integration)
In Deutschland, so berichtete Cermane, sei eine Bewegung enstanden, die sich «deaf performance now» nennt. Diese fordere, dass gehörlose Kunstschaffende die Chance bekämen, die auf der Bühne gezeigte Kunst, wie zum Beispiel Musik oder Tanz, in ihrer Sprache und Kultur zu präsentieren. Nach der Vorstellung dieser Bewegung fungierten die Dolmetscher:innen nicht als Performer:innen, sondern als Unterstützer:innen bei der Kommunikation.
Hinweis zum Zugang zu musikalischen Anlässen in Gebärdensprache in der Deutschschweiz
Bereits über 60 Anlässe hat der Verein «MUX» für musikinteressierte Gehörlose zugänglich gemacht. Auch weitere Personen, wie an der Gebärdensprache Interessierte und Angehörige erfreuen sich dieses Angebots. Diesem, in der Deutschschweiz, tätigen Verein, geht eine langjährige Zusammenarbeit zwischen gehörlosen Fachexpert:innen in Gebärdensprache und Gebärdensprachdolmetscherinnen voraus. In den Anfängen war er eine Arbeitsgruppe, bevor sie 2010 durch in einen Verein umgewandelt wurde. Dank dieser langjährigen engen Zusammenarbeit zwischen gehörlosen und hörenden Menschen hat die Musik-Übersetzungsarbeit ein professionelles Niveau erreicht.
Cermane erklärte, wie die Forderungen der Bewegung umgesetzt werden. Vor ihrem Auftritt bereiten sich die gehörlosen und hörenden Kunstschaffenden einige Wochen oder einen Monat lang vor, indem sie sich mehrmals treffen. Bei diesen Treffen erläutern die hörenden Künstler:innen den gehörlosen, was sie mit ihrer Botschaft äussern und bezwecken möchten. Daraufhin überlegen sich die gehörlosen Personen, wie sich diese Inhalte in ihre Sprache und Kultur übertragen lassen und lernen alles auswendig. Während der Show gibt die Dolmetscherin oder der Dolmetscher an, wo sich die Vorführung gerade befindet. So können gehörlose Performer:innen sich dem Tempo und dem Rhythmus der hörenden Bühnenkünstler:innen anpassen. Die Sensibilität darüber, wie gehörlose, gebärdensprachorientierte Menschen diskriminiert werden, helfe laut Cermane, in der Kultur andere Wege zu gehen und diese Menschen stärker einzubinden.
Fragen rund um die Inklusion gehörloser Menschen
Aus der Workshopgruppe, die mehrheitlich aus Akteur:innen im Kulturbereich bestand, kam die Frage, wie gehörlose Performer:innen gefunden werden könnten. «Deutschland hat auf der Website ‘deaf performance now’ eine Liste von Gehörlosen, die angefragt werden können», antwortete Cermane.
Die Frage, wie die Dolmetscher:innen im kulturellen Bereich finanziert werden können, beschäftigte alle Anwesenden. Darauf gab es keine einfache Antwort. Am besten würden diese Kosten, so Cermane, bei der Budgetplanung eingerechnet. Mit viel Glück liessen sich die Dolmetscher:innen mit Beiträgen von Stiftungen und Institutionen finanzieren.
Schliesslich wollte jemand aus dem Publikum erfahren, wie die Zusammenarbeit mit Gehörlosen gestaltet werden könne, wenn kein:e Dolmetscher:in zur Verfügung sei. Cermane schlug vor, die Gebärdensprache oder zumindest einige Gebärden zu lernen oder sich auch Papier und Stift zu Hilfe zu nehmen. Dann räumte sie ein, dass eine solche Kooperation Zeit brauche, da sie zuerst aufgebaut werden müsse. Der Aufwand lohne, da die Kooperation eine bereichernde und inspirierende Erfahrung sein könne.