Audioguides am Anfang der Ausstellung. Bildnachweis: Nicole Haas.
Kim Pittet freut sich auf die neue temporäre Ausstellung NICHTS im Museum für Kommunikation. «Ich habe die Plakate dazu bereits vor mehreren Wochen in der Stadt gesehen, endlich komme ich dazu, mir die Ausstellung anzuschauen» sagt die 27-jährige Kommunikationsspezialistin. Kulturelle Veranstaltungen seien ein wichtiger Bestandteil ihrer Freizeit, erzählt Pittet. «Viele sportliche Aktivitäten kommen für mich aufgrund meiner Behinderung nicht in Frage. Da sind Museen, Kino oder ein Theaterbesuch willkommene Alternativen.»
Die junge Frau lebt seit ihrer Geburt mit einer neuronalen Muskelerkrankung. Davon sind alle Extremitäten, das heisst, auch die Arme und Hände betroffen. Sie kann ihren Elektrorollstuhl und eine Computertastatur selbst bedienen. Fürs An- und Ausziehen ihrer Jacke oder zum Heben eines Glases benötigt sie jedoch Unterstützung.
An diesem Morgen ist Kim Pittet in doppelter Mission unterwegs. Nicht nur will sie die Inhalte der neuen Ausstellung erkunden, sie testet das Museum für Kommunikation auf dessen Barrierefreiheit. Dieses hat die Reporter:innen ohne Barrieren eingeladen, um bei einem Besuch über das Thema «Barrierefreiheit in Museen» nachzudenken.
« Viele sportliche Aktivitäten kommen für mich aufgrund meiner Behinderung nicht in Frage. Da sind Museen, Kino oder ein Theaterbesuch willkommene Alternativen. »
Barrierearme Dauerausstellung, hürdenreiche Temporärausstellung
Das Museum für Kommunikation punktet mit einem ebenerdigen Eingang und einem rollstuhlgängigen Bau. Kim Pittet kann problemlos die Rampen im Innern des Gebäudes mit ihrem Rollstuhl befahren. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Andere Museen haben teilweise Treppen vor dem Eingang. Auch im Innern kann es Gänge oder ganze Stockwerke geben, die mit dem Rollstuhl unzugänglich sind. Kim Pittet muss deshalb jeweils im Voraus klären, ob und wie sie in Gebäude gelangen kann.
Die Dauerausstellung des Museums für Kommunikation, die Pittet bereits gut kennt, ist aus ihrer Sicht mehrheitlich zugänglich. «Zwar gibt es ein paar Objekte, die ich nicht oder nur erschwert betrachten und nutzen kann, aber es gibt vielfältig vermittelte Inhalte, so dass ich mich gut abgeholt fühle.»
Nahaufnahme eines digitalen Guides. Bildnachweis: Nicole Haas
« Meine Freunde sollen mir nicht dauernd Hilfestellungen geben müssen, sondern die Ausstellung auch selbst geniessen können. »
Im 1. Stock, im Vorraum zu NICHTS, hängen verschiedene Objekte in Rahmen an einer violetten Wand. Pittet kann die meisten vom Rollstuhl aus erkennen. Eine erste relevante Hürde begegnet ihr kurz darauf: An einer Wand hängen zahlreiche digitale Guides, welche Besucher:innen selbst herunternehmen müssen. Sie sind für den weiteren Besuch von NICHTS notwendig. Für Kim Pittet ist dies nur mit Hilfe der Reporterin möglich. Sie kann ihre Hand nicht hoch genug heben, um sich einen Guide zu nehmen.
Der digitale Guide ist der magische Türöffner im NICHTS. Dank ihm erscheinen die Inhalte, wenn sich jemand einer Station nähert. Obschon er auf zwei Höhen aufgehängt ist, bleibt er für Kim Pittet schwer zugänglich.
«Für mich ist es nicht schlimm, wenn ich einige Dinge nicht selbst bedienen kann, oder auch mal weglassen muss» meint Pittet dazu. Jedoch sei es eher ungünstig, wenn sie für viele Objekte in einer Ausstellung auf Hilfe angewiesen sei. Ihre Begleitpersonen seien meist Freund:innen, keine bezahlten Assistent:innen. «Meine Freunde sollen mir nicht dauernd Hilfestellungen geben müssen, sondern die Ausstellung auch selbst geniessen können» erklärt sie selbstbewusst.
Kim Pittet in der Ausstellung. Dieser Posten ist für Kim aus dem Rollstuhl aus nicht zugänglich. Bildquelle: Nicole Haas.
Kommunikation verbessern
Nico Gurtner, Kommunikationsverantwortlicher des Museums für Kommunikation, kennt das Problem. Weil die Dauerausstellung für lange Zeit konzipiert sei, werde dort sehr stark darauf geachtet, dass es möglichst viele unterschiedliche Zugänge gebe. Vollständig barrierefrei sei sie damit nicht - aber dank dem breiten Angebot gäbe es immer Dinge, die besser passten.
Schwieriger sei das bei einer temporären Ausstellung. «Hier kann nicht immer die ganze Bandbreite der Sinneszugänge abgedeckt werden. Wir setzen deshalb bei jeder Ausstellung einen bestimmten Fokus.» NICHTS vermittle viele Inhalte über das Gehör. Nach acht Monaten wechsle die Ausstellung und ein neuer Fokus würde gewählt. Hier könne sich das Museum für Kommunikation noch verbessern, sagt Gurtner, indem es besser kommuniziere, für wen die Temporärausstellungen jeweils geeignet seien.
Barrierefreiheit ist für Museen und Institutionen keine leichte Aufgabe. Wo die Temporärausstellung NICHTS für Kim Pittet aufgrund ihrer Muskelschwäche schwierig ist, könnte sie zum Beispiel für Menschen mit Autismus oder ADHS angenehm sein. Die Installationen von NICHTS sind minimalistisch, visuell ruhig und klar. Auch Menschen mit einer Sehbehinderung dürften von den zahlreichen Hörstationen profitieren. Hingegen sind sie für Menschen mit einer Hörbehinderung komplett ungeeignet. Eine klare vorgängige Kommunikation könnte allen Anspruchsgruppen bei der Planung des Museumsbesuchs dienen.
« Hier kann nicht immer die ganze Bandbreite der Sinneszugänge abgedeckt werden. Wir setzen deshalb bei jeder Ausstellung einen bestimmten Fokus. »
Der Teufel steckt im Detail
Dass Barrierefreiheit mehr heisst als nur ein rollstuhlgängiger Bau, zeigt sich im ganzen Verlauf der von NICHTS. Bei einer weiteren Installation kann Pittet nicht nah genug an eine fest montierte Hörmuschel fahren. Auch die Bildschirme, die an Fenstern innerhalb der Installation angebracht sind, sind für Pittet 10cm zu hoch. Ein bisschen tiefer montiert und die Rollstuhlfahrerin könnte das Video, das im Innern des Fensters auf einem Bildschirm flimmert, erkennen.
Und dann passiert auch noch ein kleiner Unfall: Beim Verlassen eines Raumes mit einer Filminstallation bemerkt Pittet die Ecke zu spät und fährt in diese hinein. Ein Vorhang trennt den Raum ab, in der Dunkelheit kann sie die Kante der Wand kaum erkennen. Eine mögliche Lösung wäre eine LED-Leuchtschlange um den Ausgang herum, so hätte Pittet die Ecke rechtzeitig erkannt.
Um zu vermeiden, dass solche Detailprobleme entstehen, führen manche Kulturveranstalter Sounding Boards durch. Bei dieser Feedback-Methode werden Vertreter:innen einer Anspruchsgruppe eingeladen, ihre Meinungen und Lösungsvorschläge zu Bauprojekten oder kulturellen Veranstaltungen abzugeben. So können Korrekturvorschläge vorgängig besprochen und damit frühzeitig und kostenarm umgesetzt werden.
Kim Pittet in der Ausstellung. Die Bildschirme, die an Fenstern innerhalb der Installation angebracht sind, sind für Pittet 10cm zu hoch. Bildquelle: Nicole Haas.
In kleinen Schritten unterwegs
Das Museum für Kommunikation setzt im Moment noch auf direktes Feedback der einzelnen Besucher:innen. «Unsere Kommunikator:innen innerhalb der Ausstellung nehmen Feedback sehr gerne entgegen» erklärt Nico Gurtner. «Wir sind auf einem Weg und lernen laufend dazu. Wichtig ist uns eine offene Haltung, denn wir wissen: Bis zum Ziel ist es noch weit.»