Die beiden Freundinnen Aslihan Kartal (links) und Lila Plakolli (rechts). Bildquelle: Markus Schneeberger.

Wie spricht man übers Thema Sterben mit Men­schen, die früh im Leben damit konfrontiert sein werden oder es im Alltag dauernd sind? Die aktivis­tisch und kreativ tätige 35-jährige Lila Plakolli und ihre Freundin, die 26-jährige KV-Angestellte Aslihan Kartal, sind sich einig, dass sie nicht länger mit allen über das Thema sprechen möch­ten. «Ich möchte nicht mehr als Studienobjekt behandelt werden bei solch sensiblen und inti­men Themen wie Sexualität und Sterben und jedem auf Knopfdruck Auskunft geben», findet Lila Plakolli. Im richtigen Rahmen oder mit Menschen, mit denen die Beziehung stimme, sei es aber anders.

Lila Plakolli lebt mit der Diagnose Muskel­dystrophie Typ Duchenne. Sie hat eine Atemhilfe mit Tracheostoma (eine Kanüle durch ihren Hals in die Luftröhre) und weiss, dass sie eine verkürzte Lebenszeit haben wird. Aslihan Kartal hat die Diagnose Zerebralparese.

Lange ein abstraktes Thema

Lila Plakolli und Aslihan Kartal haben, wie die meisten Menschen, irgendwann als Kinder erfah­ren, dass der Tod zum Leben gehört. Für beide war es aber trotz ihrer frühen Erkrankung lange ein abstraktes Thema mit wenig Bezug zu ihrem eige­nen Erleben. Als Lila Plakolli im Alter von 18 Jahren zur Ausbildung in die Mathilde Escher Stiftung kam, sah sie zum ersten Mal Menschen, die beat­met wurden. Damals noch mit Schläuchen, die durch den Mund in die Lunge führten. Sie sei schockiert gewesen und habe sich gedacht: «Wenn ich so ende, dann weiss ich nicht, ob ich das packe.» Sie traf damals auch erstmals auf Fachleute, die ihr mitteilten, dass die Erkrankung auch bei ihr die Lebenszeit verkürze. Es sei gut gewesen, dass man ihr das ehrlich mitgeteilt habe, sagt Lila Plakolli. Aber sie hätte sich dabei etwas mehr Einfühlungs­vermögen gewünscht; man sei damals buchstäb­lich «mit der Tür ins Haus gefallen».

« Wenn ich so ende, dann weiss ich nicht, ob ich das packe. »

Lila Plakolli, Bewohnerin

«Leben und Tod sind hier in den Wohngruppen näher beieinander als anderswo», erzählt Aslihan Kartal. Aber nicht alle Todesfälle würden sie gleich stark beschäftigen, die persönliche Nähe spiele jeweils eine grosse Rolle. Todesfälle ausser­halb der eigenen Wohngruppe seien gefühlsmässig weiter weg. Der Tod eines engen Freundes vor etwa einem Jahr habe sie aber stark mitgenommen. Es gibt während des Gespräches mit den beiden immer wieder Momente, in denen spürbar wird, dass das Thema sie tief berührt. Zum Beispiel als Lila Plakolli von den Momenten erzählt, in denen sie selbst mit Atemnot zu kämpfen hat. Dann be­komme sie Angst: «Man kann viel über den Tod reden und darüber nachdenken. Aber wenn man wirklich vor ihm steht, dann ist das heftig. Zum Glück passiert das im Moment nicht oft.»

Abschied mehr im Stillen

Beide sind sich einig, dass Humor untereinander hilfreich sein kann. «Aussenstehende sollten aber vorsichtig sein damit», rät Lila Plakolli. Es sei die Beziehung zwischen ihr und Aslihan Kartal, welche einen humorvollen Umgang ermögliche.

Eine fortschreitende Erkrankung muss nicht zwingend bedeuten, dass eine Person sich immer stärker auf den Tod fokussiert. Lila Plakollis Wahrnehmung diesbezüglich hat sich gewandelt, als sie sich vor einigen Jahren für eine Tracheosto­ma-Operation entschied, bei der ihr eine Kanüle in die Luftröhre gelegt wurde. Sie wollte verhindern, dass die Operation irgendwann notfallmässig durchgeführt werden müsste. Ein paar Monate nach der erfolgreichen OP hat sie gemerkt: «Hey, ich kann ja auch mit diesem Tracheo gut leben und Spass haben.»

Für Lila Plakolli gibt es ohnehin viele andere Themen, die sie zurzeit beschäftigen: Sie wird zu Podiumsdiskussionen eingeladen, engagiert sich in einer Theatergruppe und in der Queerszene. Die Beziehungen innerhalb dieser Netzwerke sind für sie wertvoll und von gegenseitiger Acht­samkeit geprägt. Dem Thema Tod geht Lila Plakolli im Moment lieber aus dem Weg. «Ich habe eine Weile sehr viel darüber nachgedacht und kam da nicht mehr weiter. Deshalb fokussiere ich mich jetzt stärker auf das, was ich habe, und denke weniger an den Tod als noch vor ein paar Jahren.» Sie habe deshalb auch entschieden, dass sie im Moment an keinen Abdankungsfeiern mehr teilnehme. Sie zieht es vor, sich im Stillen von nahestehenden Menschen zu verabschieden: «Zum Beispiel indem ich ein Lied höre, das mich an die betreffende Person erinnert.» Zudem helfe es ihr, dass andere Kulturen teilweise ganz anders mit dem Tod umgehen würden. Als Beispiel nennt sie den «Dia de los muertos», den Tag der Toten, der in einigen Ländern von Lateinamerika als grosses Fest zelebriert wird.

« Deshalb fokussiere ich mich jetzt stärker auf das, was ich habe, und denke weniger an den Tod als noch vor ein paar Jahren. »

Lila Plakolli, Bewohnerin

Unterschiedliche Rituale

Aslihan Kartal hingegen geht weiterhin an Abdankungsfeiern und hat an solchen Anlässen auch schon Reden gehalten. Sie besitzt Gegen­stände, die sie an verstorbene Freunde erinnern. So gibt es zum Beispiel kein Foto von Aslihan Kartal ohne die Mütze, welche sie in Erinnerung an einen Freund gestaltet hat. In ihrem Zimmer hängt eine Flagge, die sie an einen anderen ihr nahestehenden Verstorbenen erinnert. Dies sei ihre Art, mit Todesfällen im engen Freundeskreis umzugehen. Es gebe manchmal auch Rituale in ihrer Wohngruppe. So hätten sie etwa schon kleine Steine für Verstorbene bemalt und diese dann gemeinsam in den Zürichsee geworfen.

Selbstbestimmung bedeutet Lebensqualität

Das Gespräch mit den beiden wendet sich immer wieder ab vom Thema Sterben, hin zum Leben, ins Hier und Jetzt. Aslihan Kartal beschäftigt im Moment ihre Wohnsituation. Es ist ihr oberstes Ziel, eine eigene Wohnung zu finden und mit As­sistenz selbstständig leben zu können. Die Suche nach einer barrierefreien und bezahlbaren Woh­nung in der Region kostet sie aber viel Zeit und Kraft. «Im Grunde haben wir dieselben Bedürf­nisse wie jeder andere Mensch. Wir wollen uns persönlich entwickeln, so autonom wie möglich leben, Beziehungen und Freundschaften pflegen.»

Und Lila Plakolli ergänzt: «Mir ist es wichtig, dass ich bei medizinischen Fragen mitentschei­den kann, zum Beispiel wenn es darum geht, mit welchem Medikament ich meine Schmerzen be­handle. Ich habe gelernt, dafür einzustehen. Wenn Ärzte oder Fachleute dies respektieren, dann gibt mir das die Lebensqualität und Zuversicht für den weiteren Weg.»