An der Reichenbachstrasse 118 sollen rund 100 preisgünstige Wohnungen entstehen. (Bildquelle: Janine Schneider)
Nach der Teuerung und den angewachsenen Energiekosten, dem soeben angehobenen Referenzzinssatz für Mieten, sollen demnächst auch die Krankenkassenprämien steigen. So wird das Budget von Haushalten mit tiefem Einkommen und solchen, die von Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen unterstützt werden, weiter strapaziert. Günstig wohnen zu können, ist für sie zentral.
Denn die Sozialhilfe der Stadt Bern zahlt gemäss Richtlinien der Sozialhilfekommission (SHK) maximal Fr. 1‘000 für eine Wohnung für eine Einzelperson, Fr. 1‘350 für zwei, Fr. 1‘550 für drei und Fr. 1‘750 für vier Personen. Sozialhilfe-Beziehende, bei denen die Mieten über diesen Maximalwerten liegen, und denen ein Wohnungswechsel zugemutet wird, müssen sich eine günstigere Wohnung suchen. Sie müssen vorweisen, dass sie sich auf freie Wohnungen bewerben. Während dieser Zeit unterstützt die Sozialhilfe noch die überhöhte Miete. Weigern sich die Betroffenen eine Wohnung zu suchen und das zu belegen, übernimmt die Sozialhilfe nach einer vorher angekündigten Frist nur noch die in den Richtlinien festgehaltenen Mietkosten. Somit bleibt weniger Geld für den Lebensunterhalt, was im Kanton Bern besonders hart ist.
« Viele Arbeitnehmende, Familien, Alleinstehende, Pensionierte und Menschen in Ausbildung finden heute keine bezahlbare Wohnung. »
Denn der Kanton Bern hat die Beträge für den Grundbedarf seit 2011 nicht mehr angehoben, ungeachtet der seither eingetretenen Teuerungen. Er bemisst für den Grundbedarf 977 Franken für einen Einpersonenhaushalt anstelle der von der Schweizer Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) empfohlenen 1‘031 Franken. Bei einer um 100 Franken zu hohen Miete kann das bedeuten, dass der Grundbedarf einer Person um 100 Franken gekürzt wird, von 977 Franken auf 877 Franken im Monat. «Dann bleibt kaum noch genug für Strom, Essen, Handy, ÖV, Freizeit und Kleider übrig», schlussfolgert Nora Hunziker von der kirchlichen Gassenarbeit Bern.
Günstige Wohnungen sind rar
Doch etwas Kostengünstiges zu finden, gestaltet sich als schwierig. So schreibt der Mieter:innenverband Deutschschweiz in seiner aktuellen Mitgliederzeitschrift: «Viele Arbeitnehmende, Familien, Alleinstehende, Pensionierte und Menschen in Ausbildung finden heute keine bezahlbare Wohnung.» Auch Nora Hunziker von der Gassenarbeit kennt diese Problematik: «Menschen in prekären finanziellen Verhältnissen suchen oft lange und müssen auf andere Wohnformen ausweichen, weil sie keine Wohnung finden.»
Dessen ist sich die Stadt Bern bewusst. Bereits 2017 hat die Direktion für Soziales und Sport im Bericht «Bezahlbarer Wohnraum für Armutsbetroffene» festgehalten, dass Neubauten günstige Wohnungen verdrängen, und Menschen mit wenig Einkommen überdurchschnittlich viel an die Wohnkosten bezahlen müssen. Auch sind sie in erhöhtem Mass von schlechter Wohnqualität betroffen, wie etwa enge, dunkle, feuchte und schlecht isolierte Wohnungen an Lagen mit hoher Lärm- und Feinstaubbelastung. In der Wohnstrategie der Stadt Bern vom Oktober 2018 steht auch, dass mehr als drei Viertel der Wohnungen in den Händen gewinnorientierter Akteur:innen seien. Dementsprechend ist das Angebot an günstigen Wohnungen bedeutend tiefer als dasjenige im mittleren und höheren Segment.
Durchmischung von Wohnsegmenten
«Als Vision sieht sich die Stadt Bern als Wohnstadt, in der alle Menschen willkommen sind und eine hohe Wohnqualität geniessen.» So heisst es auf der Website des Stadtplanungsamts der Stadt Bern. Der Gemeinderat will bezahlbare Wohnungen für Armutsbetroffene und -gefährdete fördern. Er hat dazu bereits 2018 eine Vielzahl von Strategien mit dem Zeithorizont bis ins Jahr 2030 definiert. So soll eine Fachstelle für Wohnungsfragen geschaffen werden, bezahlbarer und angemessener Wohnraum gesichert und dessen Angebot erhöht werden.
Zu diesem Zweck greift die Stadt in baurechtliche Bestimmungen ein und bestimmt bei Neubauten über die Anzahl günstiger Wohneinheiten mit vereinfachtem Ausbaustandart und Wohnflächenverbrauch. Zusätzlich will der Gemeinderat gemeinnützige Wohnbauträgerschaften stärken sowie private und gewinnorientierte Trägerschaften einladen, sich auch für preisgünstigen Wohnungsbau zu engagieren.
Die Stadt holt auf
Eines der ambitionierten Ziele des Gemeinderats ist es, bis 2030 die Hälfte aller neu gebauten Wohnungen im preisgünstigen und gemeinnützigen Segment entstehen zu lassen. Wo die Stadt dabei aktuell steht, verrät Christine Gross von der Fachstelle Wohnbauförderung Bern: «Von 2019 bis 2022 wurden in der Stadt Bern 927 Wohnungen neu gebaut, davon 270 im preisgünstigen Segment. Das entspricht knapp 30 Prozent.» Christine Gross versichert aber, dass sich das noch ändern wird.
Am Centralweg 15 wurden sieben Wohnungen preisgünstig vermietet. (Bildquelle: Janine Schneider)
«Zurzeit sind zahlreiche Wohnungen im preisgünstigen Segment im Bau oder können dieses Jahr bezogen werden, wie zum Beispiel jene am Centralweg, an der Reichenbachstrasse und in mehreren Baufeldern im Holliger. In den kommenden Jahren folgen weitere solche Projekte im Zentrum Bethlehems, im Viererfeld, Meinen und auf dem Wifag-Areal.» Christine Gross erklärt, dass zwischen Planung und Bau sowie Bezug der Wohnungen mehrere Jahre vergehen. Deshalb würden sich, die Bestrebungen des Gemeinderats, das preisgünstige und gemeinnützige Segment zu fördern, erst in den kommenden Jahren im Wohnungsangebot zeigen.
Bern vermietet selbst günstige Wohnungen
Mit dem «Städtischen Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik» besitzt und vermietet die Stadt selbst Wohnungen. Gemäss Dagmar Boss von «Immobilien Stadt Bern» verfügte der Fonds am Stichtag vom 31. Dezember 2022 über rund 1‘300 GüWR-fähige Wohnungen. Das sind Wohnungen mit tiefen Mietzinsen, auf die sich Mietende mit geringem Einkommen bewerben können. Laut Dagmar Boss sind zurzeit 656 GüWR-fähige Wohnungen an solche Personen vermietet. Die anderen werden bei Kündigung jeweils wieder im GüWR-Segment ausgeschrieben.
Auf die Frage, was geschehe, wenn Mietende in günstigen Wohnungen irgendwann mehr Einkommen erzielen würden, als es die Kriterien vorsähen, antwortet Boss: «Im GüWR-Mietvertrag wird ein Mietzinsrabatt festgelegt, der solange Gültigkeit hat, wie die Mietenden den Vermietungskriterien entsprechen. Wird eines davon nicht mehr erfüllt, entfällt der Rabatt und zu Unrecht bezogene Rabatte werden zurückgefordert. Die betroffene Mieterschaft kann aber zum höheren Mietzins in der Wohnung verbleiben.» Die GüWR-Mieter:innen müssten deshalb einmal jährlich ein Formular ausfüllen mit dem sie «Immobilien Stadt Bern» ermächtigen, bei der Steuerverwaltung ihr steuerbares Einkommen und Vermögen überprüfen zu können.
Weitere Massnahmen gefordert
Die Stadt Bern fördert den Bau und die Vermietung von gemeinnützigen und preisgünstigen Wohnungen und tut damit etwas gegen die Problematik der hohen Mietzinse. Nora Hunziker von der Gassenarbeit genügt dies nicht. Sie fordert auch Massnahmen auf kantonaler und nationaler Ebene: «Der Kanton Bern muss sofort und rückwirkend auf Anfang 2023 den Grundbedarf der Sozialhilfe den SKOS-Empfehlungen anpassen.» Weiter führt sie aus, dass die Mietobergrenze den in der Realität erhöhten Mieten angeglichen werden muss. Auch müssen die steigenden Krankenkassenprämien kurzfristig in Form von mehr Zugang zu Prämienverbilligungen ermöglicht werden.
Aus dieser Kritik wird deutlich, dass es nicht nur günstige Wohnungen braucht. Zusätzliche Anstrengungen von Kanton und Bund sind nötig, um der bereits verschärften finanziellen Situation der Menschen in Armut besser entgegenzuwirken.