Der Blindenführhund in Ausbildung. (Bildquelle: Stiftung Schweizerische Schule für Blindenführhunde Allschwil)

Es ist Montag nach Auffahrt. Stefania Kaiser ist mit ihrem Blindenführhund Orlando im Wald unterwegs. Plötzlich legt sich der Hund auf den Boden und gibt einen Laut von sich, den Stefania Kaiser nie vergessen wird, wie sie erzählt. Sie ruft eine Freundin an, die sie mit dem Auto zum Tierarzt fährt. Als der Motor des Autos ver­stummt, schläft Orlando mit dem Kopf auf ihren Beinen für immer ein.

Vollzeitjob als Psychologe und Alltagshelfer

Rund zwei Monate zuvor erfuhr Stefania Kaiser, dass ihr Hund einen Tumor an der Aorta so­wie Wasser im Herzbeutel hat. Die Zeit nach Orlandos Tod beschreibt die 54-Jährige mit einer grossen Leere: «Ich, aber auch meine Kinder haben sehr um Orlando getrauert. Er hat mit seiner lieben und einfühlsamen Art eine Lücke in unserer Familie hinterlassen.» Trotz der traurigen Erinnerung entweicht Kaiser ein Schmunzeln: «Orlando war ein Psychologe in Hundegestalt!»

Stefania Kaiser mit Orlando (Bildquelle: Stefania Kaiser).

Doch nicht nur emotional sei der Verlust schwierig gewesen. Als Blindenführhund hat Orlando die medizinische Masseurin und Cranio-Sacral-Therapeutin in ih­rem Alltag begleitet, denn sie ist aufgrund des grünen Stars voll­ständig erblindet. Das Einkaufen oder der Weg in die Stadt ohne Be­gleitung sind für sie schwierig, eine Zugfahrt alleine fast unmöglich. Durch die fehlende Unterstützung haben sich nicht zuletzt auch soziale Kontakte verringert, da sie das Haus seltener verlassen hat. So hat der Verlust von Orlando Spuren im Herzen, aber auch im Alltag hinterlassen.

Work-Life-Balance gilt auch bei Hunden

Dass Hunde wie Orlando wäh­rend ihrer Dienstjahre stürben, komme selten vor, sagt Ugo Spre­cher, Leiter Ausbildung und Zucht der Stiftung Schweizeri­sche Schule für Blindenführ­hunde Allschwil. Er schätzt die Anzahl Todesfälle auf einen alle zwei Jahre. Meist würden die Hunde an Tumoren oder einer schweren Autoimmunerkrankung sterben.

Das Zentrum nahe der fran­zösischen Grenze züchtet fast ausschliesslich Labrador Retrie­ver. Rund zwei Dutzend Blinden­führhunde werden jährlich aus­gebildet und an Halter:innen ausgeliehen, die auf die tierische Unterstützung angewiesen sind. Sie führen die Menschen mit Sehbehinderungen vorbei an Hindernissen, zeigen ihnen Trottoirs und Treppen an oder suchen Ampelpfosten auf. Da­mit die Hunde diese Aufgaben sicher und pflichtbewusst über­nehmen können, sind sie zwi­schen sechs und neun Monaten in der Ausbildung. Dann kommen sie für circa acht Jahre an ihren Arbeitsplatz. Mit rund zehn Jahren werden Führhunde pen­sioniert und geben das Führge­schirr ab. Sie leben dann bis zum Tod bei den Halter:innen oder die Schule sucht bei Bedarf ein neues Plätzchen für ihren Lebensabend.

« Dabei ist uns immer besonders wichtig, dass wir mit den Hal­ter*innen gemeinsam eine Lösung finden. Wir wollen nicht über ihre Köpfe hinweg entscheiden »

Ugo Sprecher, Leiter Ausbildung und Zucht

«Vor der Ausbildung durch­laufen alle Hunde verschiedene medizinische Untersuchungen und werden am Ende ihrer Aus­bildung von einem IV-Experten geprüft. Ob die Hunde im Verlauf ihres Lebens auch immer gesund bleiben, können wir nicht voraus­sehen – denn es sind Lebewesen», sagt Ugo Sprecher. Vorbeugend versuche die Stiftung, mit Mass­nahmen wie einem jährlichen Gesundheitscheck des Hundes oder einem Futterplan einen möglichst gesunden Lebensstil zu gewährleisten. Kommt es dennoch zu einer Erkrankung, stehen Hundehalter:in und Ausbildner:in miteinander im Austausch. Denn die Stiftung, die sich seit 1972 diesem Metier widmet, bringt wertvolle Erfah­rung mit, wenn es um allfällige Behandlungsmassnahmen geht. «Dabei ist uns immer besonders wichtig, dass wir mit den Hal­ter:innen gemeinsam eine Lösung finden. Wir wollen nicht über ihre Köpfe hinweg entscheiden», beteuert Ugo Sprecher.

Begleitet bis zum Lebensabend

Spricht der Hund nicht auf die Behandlung an oder erscheint diese nicht als sinnvoll, begleiten die Halter:innen ihren Vierbei­ner palliativ. Es sei dann ganz individuell, wie man nach dem Tod eines Führhundes weiter ver­fahre, erklärt Sprecher. Manche Halter:innen entscheiden sich für eine Pause, andere lassen sich relativ bald auf die Warteliste für den nächsten Hund setzen.

So auch Stefania Kaiser, die rund drei Monate nach Orlandos Tod eine neue Hündin erhalten hat. «Zira ist eine zackige Hündin mit vielen Macken. Deshalb war es schwierig, für sie ein geeigne­tes Plätzchen zu finden», erzählt Kaiser und ergänzt: «Sie ist zwar manchmal ein Sturkopf, aber beim Führen waren wir umgehend ein Team.» Dieses Team besteht bis heute. Obwohl Zira bereits seit vier Jahren pensioniert ist, hat sich Stefania Kaiser dazu entschieden, die Hündin zu behalten, denn: «Auch wenn sie eine Führhündin war, ist sie doch vor allem auch ein Familienmitglied.»

In Partnerschaft mit dem Procap Magazin

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit dem Procap Magazin entstanden. Die Erstpublikation liegt bei Procap Schweiz.