Task Force Mineralwasser am 5. September in Bern. Von links nach rechts: Fabien Bertschy, Tobias Soder, Elisabeth Winter, Evelin Meierhofer. Bildnachweis: Evelin Meierhofer
«Du bist die mit den Socken!», wurde ich am Mineralwasserstand von Elisabeth Winter und Tobias begrüsst. Bei der Vorbereitung zur Übergabe der Inklusionsinitiative fanden diverse Videocalls statt um die über 100 Helfer:innen zu koordinieren. Dabei wurden wir unter anderem darüber informiert, dass es an dem Anlass Rucksäcke und Socken mit Inklusionsinitiativen-Logo geben würde.
Ich war hin und weg, quasi von den Socken, weil ich Socken liebe. Dies brachte ich an der Zoom-Konferenz auch lautstark zum Ausdruck – so, dass ich offenbar durch meinen Socken-Enthusiasmus erkannt wurde. Mein gepunkteter Jupe, den ich an Anlässen im Zusammenhang mit Inklusion anziehe, trägt ebenfalls dazu bei, erkannt zu werden.
In der Regel trage ich zwei verschiedene Socken. Das hat neben dem praktischen Nutzen – ich muss die Socken nicht sortieren – auch eine besondere Bedeutung für mich: Sie zeigen die Solidarität mit Menschen mit Down-Syndrom. Um Aufmerksamkeit zu generieren und die menschliche Vielfalt zu feiern, werden am Welt-Down-Syndrom-Tag jeweils extrem farbige oder verschiedene Socken getragen.
Oft stelle ich die zwei unterschiedlichen Socken bewusst zusammen. An die Inklusionsinitiative habe ich eine pinke Socke mit Einhörnern und eine geringelte verschiedenfarbige Socke angezogen. Die geringelte ist wie mein gepunkteter Jupe bei fast allen Inklusionsanlässen Standard. Eines meiner Hauptziele an diesem Tag war dementsprechend auch, unbedingt ein Paar Inklusionsinitiativen-Socken zu ergattern. Aber zuerst musste ich noch etwas arbeiten.
Task Force Mineralwasser
Eingeteilt worden bin ich – meiner Berufserfahrung als eidgenössisch diplomierte Hôtelière-Restauratrice gemäss – im Gourmet-Versorgungszelt, wo wir die Besucher:innen professionell mit einer diversen Auswahl von Müesliriegeln und Mineralwasser verköstigten. Elisabeth leitete die Task Force Mineralwasser kompetent und spornte uns zu wahren Höchstleistungen an. Wir teilten die Arbeit höchst professionell auf – wobei relativ schnell klar wurde, dass meine Stärke Mineralwasser ohne Kohlensäure ist.
« Sekt kann ich, Mineralwasser mit Kohlensäure überfordert mich offenbar. »
Erstaunlicherweise ist es mir nämlich mehrfach passiert, dass mir das Mineralwasser mit Kohlensäure aus der Flasche gespritzt ist beim Aufmachen. Sekt kann ich, Mineralwasser mit Kohlensäure überfordert mich offenbar. Macht nichts – Elisabeth hat sich um das Öffnen dieser Flaschen gekümmert, ich mich ums Einschenken, das Posten auf Linkedin und das Verfolgen des LiveStreams. Derweil hat Tobias fachmännisch die PET-Flaschen zusammengedrückt.
Als Volunteer bekam ich vom offiziellen Teil der Übergabe leider nicht so viel mit – was aber nicht so schlimm war, weil die Reden und Auftritte auf der Bühne aufgezeichnet worden sind und in einem Live-Stream auch im Nachhinein angeschaut werden können. Dafür durfte ich direkt mit vielen Menschen sprechen, die an die Übergabe der Inklusionsinitiative gekommen sind. Ich erhielt durchgehend positive Rückmeldungen. Viele waren berührt, stolz und hatten keine Mühen und Aufwände gescheut, um an diesem Tag mit dabei zu sein.
Spoiler Alert: Reporterin ohne Barrieren Evelin konnte sich ein paar Socken sichern. Bildnachweis: Evelin Meierhofer
Gerade auch aus anderen Landesteilen. Italienisch kann ich leider nicht (im Gegensatz zu der wahrhaft grossen Vanessa Grand – auch eine Reporterin ohne Barrieren, die den Anlass dreisprachig souverän moderierte, worauf ich ebenfalls sehr stolz war), aber auf Französisch kann ich mich gut verständigen. Einige kannte ich bereits vom Abschlussanlass in Genf, viele andere durfte ich zum ersten Mal sehen.
Ich wollte unbedingt dabei sein, wenn die Kisten mit den Unterschriften übergeben werden. Dies war dank unserer hervorragend organisierten Task Force Mineralwasser auch möglich. Es dauerte allerdings sehr viel länger als ich ursprünglich gedacht hatte, wodurch ich sehr verregnet wurde. Meinen farbigen Regenschirm hatte ich Stunden zuvor während meines trockenen Aufenthalts am Mineralwasserstand einer unbekannten Person ausgeliehen, die mir leidtat, da sie keinen Schirm dabeihatte.
Schirm-Karma
In diesem Moment bereute ich die gut gemeinte Geste, allerdings nur kurz. Ein mir fremder Mann kam auf mich zu, um mich mit seinem Schirm vor dem Regen zu beschützen. Es schien mir genauso symbolisch, wie die aufgebaute Rampe, welche den Rollstuhlfahrenden die Übergabe der Unterschriftenbogen auf Augenhöhe ermöglichte. Wir kamen ins Gespräch, auf Französisch. Ein Vater aus der Romandie, dessen rollstuhlfahrende Tochter ganz vorne mit dabei war. Er hielt sich – wie ich auch – im Hintergrund. Weder an seinen noch ihren Namen kann ich mich erinnern, dafür deutlich an das Gefühl der Verbundenheit und des gegenseitigen Wohlwollens.
« Mein Rucksack ist immer noch nicht richtig getrocknet. Von dem bisschen Regen liessen wir uns die gute Stimmung allerdings nicht verderben – wir schon gar nicht. Schliesslich sind wir Menschen mit Behinderungen sehr geübt darin, im Regen stehen gelassen zu werden. »
Ich brach nicht in Tränen aus während der Übergabe, aber ich stand kurz davor und Freudentränen glitzerten in meinen Augenwinkeln. Es fehlte nur noch ein Regenbogen, um diesen Tag noch symbolträchtiger zu gestalten.
Ironischerweise wäre die Übergabe vermutlich von unserem Mineralwasser-Zelt aus besser zu sehen gewesen via Livestream als direkt vor Ort – und bestimmt weniger nass. Aber ich hielt durch bis zum Schluss – auch wenn ich bei der Rückkehr auch als Kandidatin für einen Wet-T-Shirt Contest in Frage gekommen wäre.
Überhaupt war der Regen vermutlich die grösste Herausforderung. Er überschwemmte unsere Arbeitsfläche, bedrohte unsere trockenen Füsse, Rucksäcke und Bänke. Meine Agenda (sehr passend: von Jules Vernes 20’000 Meilen unter der Meeresoberfläche) ist vollkommen nass geworden und mein Rucksack ist immer noch nicht richtig getrocknet.
Von dem bisschen Regen liessen wir uns die gute Stimmung allerdings nicht verderben – wir schon gar nicht. Schliesslich sind wir Menschen mit Behinderungen sehr geübt darin, im Regen stehen gelassen zu werden. Dieses Mal haben wir uns einfach selbst und extra in den Regen gestellt. Das ist ein kleiner, aber feiner und relevanter Unterschied. Freie Entscheidung darüber, wie wir leben, wohnen und arbeiten – darum geht es uns.
« Weder an seinen noch ihren Namen kann ich mich erinnern, dafür deutlich an das Gefühl der Verbundenheit und des gegenseitigen Wohlwollens. »
Jetzt geht es ans Lobbying im Bundeshaus – wir brauchen einen langen Atem. Aber das Gefühl und der Stolz, an diesem Tag dabei gewesen zu sein, das kann mir und uns allen, niemand mehr nehmen. Und ich für meinen Teil werde alles das in meiner Möglichkeit steht tun, dass wir sichtbar bleiben! Denn wir sind gekommen, um zu bleiben.
Schliesslich ist es mir auch gelungen, meine heissgeliebten Socken zu kaufen! Diese muss ich übrigens nicht extra mit anderen Socken kombinieren – denn die linke unterscheidet sich von der rechten. Auf der Heimreise habe ich dann meine kalten und nassen gegen die kuschlig warmen Socken austauschen können. Sie haben sowohl mein Herz wie auch meine Füsse gewärmt – und werden das auch noch lange tun!