Doris Ehrenreich, langjähriges Mitglied der gehörlosen Hospizgruppe aus Bayern (Bildquelle: Doris Ehrenreich).
Sterben ist sehr individuell. Doch im Sterbeprozess von gehörlosen Menschen gibt es laut Fachpersonen einen zusätzlichen, gewichtigen Unterschied: Bei hörenden Menschen ist der Hörsinn meist bis zum Ableben vorhanden. Man kann also bis zum Schluss zu ihnen sprechen und sie können, sofern sie bei Bewusstsein sind, ihr Umfeld hören. Bei Menschen aber, die nichts hören, ist die Kommunikation über das Absehen von den Lippen und über die Gebärdensprache häufig früher abgebrochen. Dies muss bei einer Sterbebegleitung dieser Personengruppe berücksichtigt werden. Wie das geht, schildern Mitglieder der Hospizgruppe Gehörlose aus Würzburg im deutschen Bundesland Bayern.
Die Gebärdensprache anpassen
Zum einen muss die Gebärdensprache während einer Sterbebegleitung angepasst werden. Wie das geht, erläutert Iris Feneberg, die gehörlose Menschen zu Hospizbegleiter:innen ausbildet und deren Einsätze in Bayern koordiniert: «Wenn der Sterbeprozess voranschreitet, schwinden die Kräfte und die Sterbenden ermüden zunehmend. Das Gebärden wird für Gehörlose, ebenso wie das Sprechen für Hörende, zunehmend mühsamer», sagt Iris Feneberg im Austausch mit Procap. «Es fällt ihnen immer schwerer, die Augen offen zu halten, um den Gebärden zu folgen.» Aus diesem Grund passt Doris Ehrenreich, Mitglied der Hospizgruppe Gehörlose, die Kommunikationsform an: «Ich gebärde langsamer. An der Mimik des Gegenübers sehe ich, ob es mich versteht. Bei Nichtverstehen wiederhole ich oder mache kürzere Gebärdensätze.» Manche Sterbenden seien zu müde und könnten nur noch mit Kopfschütteln und Nicken reagieren. Im Laufe des Sterbeprozesses werde auch das zu anstrengend.
Grenzen von Berührungen respektieren
Wie es danach mit der Kommunikation weitergeht, erklärt Iris Feneberg. Da «gegen Ende des Sterbeprozesses eine aktive Kommunikation über Gebärden kaum mehr möglich ist, muss man auf die nonverbale Kommunikation, das heisst auf die Beobachtung von Mimik und körperlichen Reaktionen, wechseln.» Glücklicherweise seien Gehörlose darin aber Profis, da ihre visuelle Wahrnehmung stärker ausgebildet sei.
« Das Gebärden wird für Gehörlose, ebenso wie das Sprechen für Hörende, zunehmend mühsamer »
Doris Ehrenreich, die inzwischen auf 22 Jahre Einsatz als Sterbebegleiterin zurückblickt, veranschaulicht die nonverbale Kommunikation: «Da eine gehörlose Person nichts hört, hilft zum Beispiel das Berühren der Hand, um ihr mitzuteilen, dass jemand da ist.» Dazu berühre sie mit ihrer Hand ganz leicht diejenige der sterbenden Person. «Ich beobachte ihre Mimik und lese daraus, ob beispielsweise das Halten und das Streicheln der Hand oder das Massieren der Hand mit Pflegeöl als angenehm empfunden wird.» Sei das nicht so, dann respektiere sie die Grenzen.
Vertrauen als Basis für die Sterbebegleitung
Für die Kommunikation über Berührungen sei eine gute Vertrauensbasis eine wichtige Voraussetzung, sagt Iris Feneberg. «Hier ist es von Vorteil, wenn sich schon zuvor eine gewisse Vertrautheit zwischen Sterbenden und Begleitenden entwickeln konnte.» Eine solche könne durch Besuche wachsen. Wenn die Gehörlosen es wünschen, gehen Doris Ehrenreich und ihre Kolleg:innen von der Hospizgruppe sie frühzeitig in Palliativabteilungen, Pflegeheimen oder auch zu Hause besuchen.
«Vor allem in Pflegeheimen und Palliativabteilungen sind gehörlose Menschen in ihrer letzten Phase häufig alleine, oder sie sind umgeben von Ärzt:innen und Pflegefachkräften, welche keine oder nur rudimentäre Kenntnisse in Gebärdensprache haben», gebärdet Doris Ehrenreich. «Deshalb freuen sie sich besonders auf unsere Besuche.» Dem pflichtet Iris Feneberg bei: «Es ist für die Betroffenen unglaublich wichtig, gerade in der schwierigen letzten Phase jemanden zu haben, der ihre Sprache beherrscht.» Ansonsten gelte, was allgemein für Sterbende, egal ob hörend oder gehörlos, gelte: der Person das Gefühl zu vermitteln, dass jemand an ihrer Seite ist.
Hospizgruppen in Deutschland
Mit dem Ziel, gehörlose Menschen mit ihrer eigenen Kommunikationsform in ihrer letzten Lebensphase angemessen begleiten zu können, fand 2001 in Deutschland erstmals eine Ausbildung für gehörlose Hospizbegleiter:innen statt. Inzwischen ist diese Ausbildung mehrmals wiederholt worden, die nächste startet im November dieses Jahres in Nürnberg. Die Ausbildung entspricht etwa dem Lehrgang «Palliative Care» des Schweizerischen Roten Kreuzes.
Nach der Ausbildung stehen die Sterbebegleiter:innen in Hospizgruppen für freiwillige Einsätze bei gehörlosen Sterbenden zur Verfügung.
Anders als in Deutschland hat in der Schweiz bislang noch keine Gruppe von Gehörlosen den Lehrgang «Palliative Care» absolviert. Hingegen sind hierzulande rund 19 Personen als Pfarrer:innen, Seelsorger:innen oder diakonische Mitarbeitende für Menschen mit Hörbehinderungen aktiv. Eine ihrer Aufgaben ist dabei die Sterbebegleitung.
In Partnerschaft mit dem Procap Magazin
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit dem Procap Magazin entstanden. Die Erstpublikation liegt bei Procap Schweiz.