Tina Schai. Bildnachweis: Michael Waser
Der Mittwoch ist einer der beiden Betreuungstage, welchen die Baslerin Tina Schai zukünftig mit ihren zwei Kindern verbringen wird, sobald die Mutterschaftszeit kommenden Juli zu Ende geht. Nebst alltäglichen Verrichtungen wie dem Wocheneinkauf bleibt dann genug Zeit für einen Besuch im Schwimmbad oder bei Freund:innen und Freunden. Mit dabei ist jeweils eine Assistenzperson. Sie unterstützt Schai in der Aufsicht der Kinder und hilft beispielsweise dabei, den Weg zum Zielort zu finden. Denn Schai lebt seit Geburt mit einer starken Sehbehinderung, dem sogenannten Peters Syndrom. Dieses bedingt, dass ihr Sichtfeld eingeschränkt ist und sie auf dem linken Auge einen Sehrest von zwei Prozent hat, auf dem rechten Auge sind es sieben Prozent.
« Ich wusste, dass ich einen Partner habe, der mitträgt und der mich schon lange kennt. Dadurch wissen wir beide, wo wir uns gegenseitig ergänzen und unterstützen können. »
Sie habe nie bezweifelt, dass sie die Aufgaben einer Mutter bewältigen kann, sagt Tina Schai. Ihre Behinderung sei bei der Familienplanung kein entscheidendes Thema gewesen. So hat sich Schai auch wenig informiert über die Herausforderungen von Müttern mit Sehbehinderungen. Denn irgendwie finde man immer einen Weg, meint sie und ergänzt: «Ich wusste, dass ich einen Partner habe, der mitträgt und der mich schon lange kennt. Dadurch wissen wir beide, wo wir uns gegenseitig ergänzen und unterstützen können.» Auch auf ein hilfsbereites Umfeld kann sie zählen.
« Die Mutterschaft fungiert als Brückenbauerin, indem ich beispielsweise auf dem Spielplatz mit anderen Eltern ins Gespräch komme. »
Sobald es um die medizinischen Fragen ging, wurde Schai aber umgehend klar, dass Ärzt:inne auf die Schwangerschaft einer Frau mit Sehbehinderung oft nicht vorbereitet sind. So war lange ungewiss, ob aufgrund des zu hohen Augendrucks von Schai eine natürliche Geburt möglich sei und ob ihre Medikamente dem ungeborenen Kind schadeten könnten. Im letzten Drittel der ersten sowie während der gesamten zweiten Schwangerschaft und den Geburten begleitete eine Hebamme die werdenden Eltern. Das sei sehr wertvoll gewesen: «So hatte ich jemanden, der mir vollumfänglich zur Seite stand und wusste, was ich möchte und kann.» Schai wünscht sich, dass unter anderem gerade Themen wie Schwangerschaft und Geburt bei Menschen mit Behinderungen mehr in die Ausbildung von medizinischem Fachpersonal einfliessen würden:
« Dass das Krankheitsbild von Menschen mit Behinderungen nicht isoliert, sondern in Bezug auf andere medizinische Kontexte angeschaut wird. »
Tina Schai. Bildnachweis: Michael Waser
Im Alltag helfen Schai eigene kreative Tricks, um die Aufgaben im Haushalt selbstständig zu bestreiten, denn nebst einer Putzhilfe hat sie nur am Mittwoch eine Assistenzperson zur Seite. So riecht Schai beispielsweise an den Kleidungsstücken ihrer Kinder, um zu prüfen, ob diese schmutzig sind. «Mir ist besonders wichtig, dass sie saubere Kleidung tragen, denn ich möchte keine Vorurteile bestätigen.» Diese Vorurteile gegenüber einer Mutter mit Behinderungen erlebe sie mehrheitlich unausgesprochen oder in Form von Fragen. So würden ihr beispielsweise die Fragen gestellt, wie sie denn ihr Kind auf dem Spielplatz beaufsichtigen oder ein Bilderbuch vorlesen könne. Schai geht jedoch davon aus, dass sie aufgrund ihrer guten Rahmenbedingungen weniger mit Vorurteilen konfrontiert sei als andere Mütter mit Behinderungen.
Sobald die Mutterschaftszeit zu Ende ist, wird sich Schai in einem Teilpensum wieder ihrer beruflichen Tätigkeit widmen. Sie ist Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung im Verein für Sozialpsychiatrie Baselland. Ihr Beruf sei ihr wichtig:
« Ich will als Mensch mit all meinen Facetten gesehen werden. Ich bin nicht nur Mutter. Und auch nicht nur behindert, sondern ich bin auch eine Frau, berufstätig, sportlich etc. »
Die Rolle als Mutter könne aber sicherlich dazu beitragen, bestimmte Hürden abzubauen. «Die Mutterschaft fungiert als Brückenbauerin, indem ich beispielsweise auf dem Spielplatz mit anderen Eltern ins Gespräch komme», sagt Tina Schai. Sie könne sich auch vorstellen, dass später ihre Kinder von deren Freund:innen auf die Behinderung ihrer Mutter angesprochen werden können. Das mache ihr aber keine Angst, erklärt Schai. «Kinder haben immer viele Fragen – sei es zur Hautfarbe, Kleidung oder eben bei mir zur Behinderung. Ich mache mir darüber aber nicht mehr Sorgen als zum Beispiel über die zukünftige Mediennutzung unserer Kinder oder andere Herausforderungen, die das Leben an uns stellen wird.»
Tina Schai. Bildnachweis: Michael Waser