Aussenansicht des Veranstaltungsortes «Karl der Grosse». Bildquelle: Silvia Meierhofer
Knarrendes Holz und Stimmengemurmel führen mich ins Barockzimmer im Debattierhaus Karl der Grosse in Zürich. Als Letzte fahre ich mit meinem Rollstuhl in den Halbkreis - jeder Platz ist besetzt, der Workshop «Wenn die Sprache fehlt» ausgebucht. Nackte Flipcharts warten geduldig auf ihren Einsatz, genau wie Monika Grob und Manuela Beerli, die durch die 90 Minuten führen. Sie arbeiten gemeinsam bei Sprachwirrwarr, der Fachstelle für Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen.
Was ist Sprache?
«Sprache ist für Sie alle selbstverständlich», eröffnet Monika Grob den Workshop. Sprache bedeute, am Leben teilzuhaben. «Doch was ist Sprache genau?», fragt sie in die Runde. Sprache ist ein Ton mit Bedeutung, Sprache ist das Weitergeben von Informationen, Sprache ist eine Form von Kommunikation, sagen die Teilnehmer:innen. Doch nicht alle Menschen erlernen Sprache gleich gut und gleich schnell. Sprachentwicklung, so erfahre ich, besteht aus zwei Komponenten. Wir verarbeiten, was wir gehört haben und verstehen es in der Situation. Der Wortschatz eines Kindes sagt also noch nichts darüber aus, ob ihre Sprachentwicklung gestört ist.
« Sprache ist für Sie alle selbstverständlich. Doch was ist Sprache genau? »
Die beiden Frauen vertiefen in ihrem Workshop, wie eine Sprachentwicklung von Klein auf abläuft. Was mir bleibt: Wir müssen zuerst lernen, uns gleichzeitig auf das sprechende Gegenüber und einen Gegenstand zu fokussieren. Erst mit circa einem Jahr verstehen wir, dass das heruntergefallene Ding wohl ein Löffel ist, weil Mama gerade sagt «Oh, ist dir der Löffel heruntergefallen». Wir setzen Worte also in Bezug zu ihrem Kontext.
Diese und weitere kognitive Leistungen sind für rund 6-8 Prozent der in der Schweiz lebenden Kinder nur bedingt möglich. Die Herausforderung einer Sprachentwicklungsstörung ist, dass diese nicht sichtbar und deshalb teils schwer erkennbar ist. So kommen Betroffene mit erlernten Strategien zwar durch die Schulzeit und später auch durch das Leben. Aber: Sprache ist wichtig, denn sie gibt uns sowohl eine innere als auch eine äussere Struktur. Sie hilft uns, uns selbst und unser Gegenüber zu verstehen.
« ein Note to myself, was ich in Zukunft besser machen möchte: Wir alle können Sprachvorbilder für Menschen mit Sprachentwicklungsstörungen sein, wenn wir gebrochenes Deutsch durch leichte Sprache ersetzen »
Zum Schluss des Workshops ein Note to myself, was ich in Zukunft besser machen möchte: Wir alle können Sprachvorbilder für Menschen mit Sprachentwicklungsstörungen sein, wenn wir gebrochenes Deutsch durch leichte Sprache ersetzen. Indem wir kurze Sätze bilden und der Reihenfolge des Geschehens erzählen. Idealerweise ist die Sprache gespickt mit einer Prise Humor, denn auch das soll bei Kindern Platz haben. Mit solch einfachen Massnahmen können Menschen mit Sprachentwicklungsstörungen an der Kommunikation und am Leben teilhaben und interagieren.
Eintauchen ins All
Eine kurze Pause, ein Glas Wasser und weiter geht es zwei Stockwerke tiefer. Schon gewusst, dass man im All nicht rülpsen kann, ohne erbrechen zu müssen? Die Lesung von Raul Krauthausen und Adina Hermann über ihr gemeinsames Buch «Als Ela das All eroberte» liefert nicht nur Fun Facts, sondern macht Inklusion für die Kleinsten greifbar.
Raul Krauthausen (rechts) und Adina Hermann (links). Bildquelle: Kim Pittet
Vor rund drei Jahren sei die Idee zu einem Kinderbuch mit einer behinderten Protagonistin entstanden. Die Autorin und der Autor wissen aus eigener Erfahrung: Menschen im Rollstuhl werden in Kinderbüchern und -filmen unterrepräsentiert. Spielen sie dennoch eine Rolle, dann mit Blick auf das, was sie nicht können.
Also ist Protagonistin Ela in ihrem Buch ein normales Mädchen, mit denselben Träumen und Ängsten wie jedes Kind in ihrem Alter. Der einzige Unterschied ist der Rollstuhl. Doch der ist für Ela nicht etwa ein Hindernis. «Ela will mit dem Rollstuhl ins All», erklärt Krauthausen zwischen zwei vorgelesenen Kapiteln. Denn dieser befähige sie, weshalb sie auch nicht den Wunsch habe, ohne zu sein. Die Illustrationen des Buches untermauern dies. Der Rollstuhl wird realitätsnah dargestellt, ein Highlight sind die farbig blinkenden Vorderräder.
« Auch Erwachsene lernen in einem Kinderbuch mehr über Inklusion. Denn sie sind es, die mit den Kindern das Buch anschauen »
Bunt – auch im Publikum
Für eine Lesung ist der Geräuschpegel hoch. Nicht nur, weil viele Krauthausen-Fans und Bücherliebhaber:innen gekommen sind. Sondern auch, weil es vielen schwer fällt, eine Stunde still zu sitzen. Das stört niemanden, denn in genau solchen Situationen zeigen sich Inklusion, Toleranz und die Freude an Diversität. Die Geschichte zieht die Hörer:innen spielend leicht in ihren Bann. Freundschaft, Physik, Ableismus – der Themenstrauss im Kinderbuch ist bunt.
Mittendrin bringen sie mich zum Schmunzeln: «Auch Erwachsene lernen in einem Kinderbuch mehr über Inklusion. Denn sie sind es, die mit den Kindern das Buch anschauen», so Krauthausen. Ein Kinderbuch eignet sich also perfekt dazu, ein breites Publikum zu erreichen. Und mir wird klar: Ob geschrieben oder gesprochen, die Sprache ist einer von vielen Schlüsseln der Inklusion.